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klar zu sagen, dass es sich nicht auch um Schutz gegen unmittelbar er-
gehende Einzelakte und thatsächliche Eingriffe handelt. Der Text ist deut-
lich; da hilft kein Auftrumpfen. Gleichwohl gebe ich gern zu, dass ich
meiner Sache durchaus nicht sicher bin, wenn es darauf ankommt, den Verf.
auf irgend einen Ausspruch festzunageln. Seine Rechtsbegriffe sind Mol-
luske, die sich den Zangen der Logik entziehen. Was ist ihm eine Ver-
ordnung? An der hier behandelten Stelle sollte sie nach dem Zusammen-
hang einen Akt bedeuten, der, nicht in Form des Gesetzes ergangen, Rechts-
sätze aufstell. Im gleichen Sinne unterscheidet der Verf. auch anderwärts
Verordnung und Verfügung (vgl. Verordnungsrecht S. 166, 168, 171), aller-
dings mit bedenklichen Uebergängen zum Einzelbefehl an mehrere bestimmte
Personen (S. 166 Note 6). Er sagt aber auch bei seiner grundsätzlichen
Bestimmung des Begriffs Verordnung in Verordnungsrecht S. 3, Verord-
nungen seien im Gegensatz zu den Gesetzen „diejenigen Aeusserungen der
Staatsgewalt, zu deren Erklärung es der vorherigen Zustimmung der Landes-
vertretung nicht bedarf“. Diejenigen Aeusserungen — also doch wohl alle?
Das ist L. v. Stem. Es stimmt auch mit der einseitigen Betonung der
formellen Natur von Verordnung oder Verwaltungsvorschrift, wobei es gleich-
gültig ist, ob Rechtsnorm darin ist oder nicht. Jedenfalls kann Verf. gegen
jeden, der da behaupten wollte, er habe unter Verordnung nicht auch
Einzelverfügungen verstanden, sich auf diesen seinen Text berufen. Es ist
nicht leicht mit ihm zu diskutieren.
Begnügen wir uns mit dem Zugeständnis, dass die Grundrechte auch
gegen thatsächliche Eingriffe schützen sollen. Dann sind sie doch auch neben
dem Prinzip, dass Rechtssätze nur durch den Willen des Gesetzes entstehen
können, nicht überflüssig, und der grosse Beweis, welchen der Verf. aus
dieser Ueberflüssigkeit gegen jenes Prinzip zu ziehen sucht, sollte billiger-
weise aufgegeben werden. Der Verf. ist nicht dieser Meinung. Wie in
seinem Verordnungsrecht der Rechtssatz auch die thatsächlichen Eingriffe
umfasst haben soll, so muss in dieser neuen Schrift die Einzelmassregel
wenigstens im Ausdruck nach Rechtssatz schillern. Das Gesicht ist bewahrt;
aber um welchen Preis?
Die historisch-kritische Methode ist eine vortreffliche Sache; es wäre
schlimm, wenn alle, die der Verf. als seine Gegner behandelt, auch ihre
Gegner wären. Da er aber nun einmal überzeugt ist, ihr Retter zu sein
gegenüber der „herrschenden Theorie“, so muss man ihm auch das sich zu-
weilen recht stark bemerkbar machende Eigenlob zu gute halten. Etwas
mehr Festigkeit in den Grundbegriffen unserer Rechtswissenschaft liesse sich
immerhin damit leicht verbinden.
Otto Mayer.
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