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Wohlfahrtsförderung ausschliesslich betrauten Willensträger, dem Staate,
überlassen bleiben, unwiderleglich nicht nur den hierzu einzuschlagenden
Weg zu bestimmen, sondern auch die vom einzelnen Unterthanen dabei zu
leistende Unterstützung durch Gebote und Verbote (Verwaltungsbefehle)
vorzuschreiben. Das Vorgehen der Staatsverwaltung, bezw. die darin be-
kundete Ansicht über die Zweckmässigkeit der Befehle, kann daher auch
nicht Gegenstand der Rechtssatzung bezw. richterlichen Beurteilung sein
(8. 546). In der Erfüllung der besagten Unterstützungspflicht erscheinen
eben die Unterthanen nicht als freiwillige Willensträger, sondern als Ver-
waltungsorgane der menschlichen Gesellschaft, gleichsam als Beamte, als
„Staatssklaven“, und die Verwaltungsbefehle als Dienstbefehle und Dienst-
instruktionen. Die Unterlassung der pflichtigen Unterstützung aber wird (im
Gegensatz zu der oben festgestellten Rechtswidrigkeit) Verwaltungs-
widrigkeit genannt. — Diese Verwaltungswidrigkeit erzeugt nun auch
eine Reaktion und zwar des verwaltenden Staates, der die ihm zu freier,
selbständiger Bethätigung verliehene Zwangsbefugnis in Form von Er-
füllungszwang oder Strafe ohne vorgängige Gegenerklärung (Richterspruch)
geltend macht, weil ja auch keine Verletzung der Rechtsverfassung als der
Erklärung des Gesamtwillens stattgefunden hat. Die Verwaltungsstrafe
ist demgemäss auch nicht die Beeinträchtigung der Rechtssphäre eines Willens-
trägers, sondern die Massregelung eines unterstützungspflichtigen Hülfsorganes;
sie bedarf an sich nicht einer in Form eines Rechtsatzes vorher festgesetzten
Strafandrohung (S. 553).
Nach Aufstellung dieser rein spekulativen Theorie sucht der Autor
wieder Fühlung mit der realen Rechtsentwicklung zu gewinnen. Er weist
darauf hin ($ 28), dass die Praxis infolge der Doppelstellung des Staats als
Trägers eines allgemeinen und eines besonderen Willens und der Doppeleigen-
schaft des Individuums als selbständigen Willenssubjekts und als Hülfsorganes
der Stuaatsverwaltung die entwickelten Begriffselemente nicht rein erhalten
könne. Die begriffliche Scheidung von Verfassung und Verwaltung erleide
eine Verschiebung bald nach der einen, bald nach der anderen Seite, je
nachdem der Staat das Gebiet der Verwaltung auf Kosten der Rechts-
verfassung erweitere (Polizeistaat), oder umgekehrt (Manchestertum). Im
allgemeinen bestehe begreiflicherweise bei der Staatsverwaltunug die Tendenz
im Sinne der ersteren Richtung; dagegen richtet sich nun die konstitutionelle
Bewegung, indem sie zunächst den Staat zwingt, jene Funktionen, die er
als Vertreter des Gesamtwillens und in Abhängigkeit von diesem ausübt,
welche also bei der bezeichneten Tendenz der Gefahr der Verkümmerung
unterliegen, in die Hände von Faktoren zu legen, die von den Vollstreckungs-
organen des staatlichen Sonderwillens unabhängig sind (Mitwirkung der
Volksvertretung bei der Gesetzgebung, Unabhängigkeit der Gerichte u. s. w.).
Anderseits soll aber grundsätzlich die Förderung des öffentlichen Wohls in
der Hand des Staatsoberhauptes belassen werden (S. 555). Die Gewalten-