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verteilung macht aber nun eine scharfe Abgrenzung der Kompetenzen
der beiden verschiedenen Staatswillen notwendig, wobei die Rechtsverfassung
als das überlegenere Element in die Lage kommt, durch Rechtssätze auch
die eigentümliche, mit besonderer Zwangsgewalt behufs Durchführung seiner
Unterstützungsansprüche ausgestattete Machtsphäre des verwaltenden Staates
gegenüber den anderen Willensträgern zu formulieren (modernes Staats-
recht). Diese Formulierung bestimmt nun nicht nur, inwieweit die Geltend-
machung der Unterstützungsansprüche gegen den Unterthanen durch die
Staatsgewalt zulässig ist, sondern auch, dass die Erzwingung dieser Ansprüche
durch Strafen (nicht auch durch Erfüllungszwang) in der Form des Straf-
rechts bethätigt werden müsse. Hierdurch wurde neben dem eigentlichen
Strafrecht ein Verwaltungsstrafrecht geschaffen, welches seiner Form nach
(vorgängige Androhung durch Rechtssatzung „nulla poena sine lege“) Ver-
tassungsstrafrecht, seiner Natur nach (Unterstützungszwang) Verwaltungsrecht
sei („Zwitternatur* 8. 573). Dem Gesagten zufolge ist nun die Befugnis
des verwaltenden Staats, von dem einzelnen Unterthanen die Unterstützung
seiner Verwaltungsthätigkeit zu verlangen, zu einem allgemeinen, staats-
rechtlich sanktionierten Rechtsanspruch geworden, der durch Ver-
waltungsbefehle im einzelnen Falle geltend gemacht wird. Diese Befehle
fliessen aber aus dem eigenen Recht des verwaltenden Staats, weshalb die
Durchführung derselben mittelst Strafsatzung und Strafzwanges nicht als
eine Delegation seitens des Gesetzgebers (des allgemeinen Staatswillens) an-
gesehen werden könne. Den letzteren aber bei Erlass von Verwaltungsstraf-
sätzen als Träger des staatlichen Sonderwillens anzusehen, wäre eine contra-
dietio in adjecto. Vielmehr muss in der staatsrechtlichen Sanktion der
Verwaltungsstrafgewalt eine staatsrechtliche Zulassung der Selbst-
hülfe des verwaltenden Staats durch Handhabung der Strafgewalt er-
blickt werden (S. 566). — Bei der gleichen- Form, in welcher der Staat
zu den Verfassungs- und Verwaltungsdelikten Stellung nimmt, liegt deren
charakteristischer Unterschied im Strafgrund: Verletzung eines realen Schutz-
objekts oder blosse Vorschriftswidrigkeit. — Das Ergebnis der ganzen Unter-
suchung ist die Definition des Verwaltungsstrafrechts: „Der Inbegriff der-
jenigen Vorschriften, durch welche die mit Förderung des öffentlichen oder
Staatswohls betraute Staatsverwaltung im Rahmen staatsrechtlicher Ermächti-
gung in der Form von Rechtssätzen an die Uebertretung einer Verwaltungs-
vorschrift als Thatbestand eine Strafe als Verwaltungsfolge knüpft“ (S. 577).
Diese Theorie soll nun durch das im ersten Teile des Buches mit
Bienenfleiss zusammengetragene geschichtliche und litterarische Material er-
härtet werden. GoLpscHMIpr sieht in den Bannbefehlen und Bannbussen der
fränkischen Könige angesichts des Mangels an rechtlich geschütztem Inter-
esse und angesichts der für die Strafbarkeit massgebenden Autoritäts-
verletzung, der „Verwaltungswidrigkeit“, den Urtypus des eigentlichen Ver-
waltungsstrafrechts. Die Weiterentwicklung der Banngewalt in diesem Sinne