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mehr als einer Hinsicht ist das Werk höchst beachtenswert und lehrreich.
In meisterhafter Weise verknüpft der Verf. die Darstellung des badischen
Staatshaushalts mit der Erörterung allgemeiner finanz- und sozialpolitischer
Fragen. Nach einem einleitenden Abschnitt über Budgetrecht und formelle
Ordnung des Staatshaushalts werden. wir mit der Bewegung der badischen
Staatsausgaben und Staatseinnahmen während dreier Jahrzehnte, von 1870
bis 1900, bekannt gemacht. In diesem Zeitraum haben die Ueberschüsse
die Regel, die Fehlbeträge die Ausnahmen gebildet. Die Ueberschüsse im
ordentlichen Etat sind so regelmässig und bedeutend gewesen, dass aus ihnen
nicht nur der Betriebsfonds der Finanzverwaltung, sondern auch die sämt-
lichen Mittel zur Bestreitung der Ausgaben des ausserordentlichen Etats
entnommen werden konnten. Wie der Verf. ausdrücklich betont, ist es
Grundsatz der badischen Finanzverwaltung, den Staatskredit nur für eigent-
lich produktive Ausgaben, d.h. für rentierende Unternehmungen, insbesondere
für Eisenbahnzwecke in Anspruch zu nehmen, dagegen nicht für unproduk-
tive Unternehmungen, wie Strassen, Wasserbauten, Dienstgebäude und andere
derartige einmalige Aufgaben. Eine solche absichtliche Ueberschusswirt-
schaft im ordentlichen Etat mit dem Zweck, ausserordentliche Aufwendungen
der folgenden Periode aus diesen Ueberschüssen zu bestreiten, erscheint in
einem Mittelstaat wie Baden, wo einmalige Ausgaben in nicht zu stark
wechselnder Höhe Jahr für Jahr wiederkehren, durchaus angemessen. Das
grösste Hindernis für eine solche Etatsgestaltung bilden gewisse unsichere
Budgetposten in Einnahmen und Ausgaben, deren Höhe bei der Feststellung
des Etats nicht vorausgesehen werden kann. Unter diesen unsicheren Posten
nehmen die Matrikularbeiträge Badens für das Reich und die Ueberweisungen
des Reichs an Baden den bedeutendsten Platz ein. Damit kommt der Verf.
auf die bekannte Abhängigkeit der einzelstaatlichen Finanzen von den Reichs-
finanzen zu sprechen und kritisiert den bestehenden Zustand sehr scharf
aber durchaus zutreffend. So sicher der unbheilvolle Einfluss der Matrikular-
beiträge und der Ueberweisungspolitik auf die einzelstaatlichen Finanzen ist,
und so sehr eine Reform des Reichsfinanzwesens, die vor allem das Reich
finanziell selbständig machen müsste, notwendig erscheint, so sicher ist doch
ein Vorwurf, den der Verf. dem in Deutschland bestehenden System der
Matrikularbeiträge macht, ungerechtfertigt. Es werden nämlich die Ma-
trikularbeiträge nach Massgabe der Bevölkerung auf die Einzelstaaten um-
gelegt, d. h. es wird die Beitragsquote des Gliedstaates nach dem Verhältnis
seiner Bevölkerung zur Reichsbevölkerung festgestellt. Mit Beziehung auf
diesen Verteilungsmassstab, sagt der Verf.: „Die Matrikularbeitragspflicht
wirkt, weil ausschliesslich die Bevölkerungszahl den Massstab für die Ver-
teilung der Matrikularbeitragslast abgiebt, kopfsteuerartig.“ Dieses Argu-
ment ist nicht neu. Es geht auf eine rhetorische Redewendung Miquels
zurück, der die Matrikularbeiträge geradezu für eine Kopfsteuer erklärte
(Finanzarchiv Bd. XVII S. 96). Auch ApouLr WAGNER spricht im vierten