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sobald die Träger der faktischen Regierung die Anerkennung
der europäischen Mächte erlangt haben, sei es aller, oder sei es
wenigstens der vornehmlichsten, ist ihre faktische Macht legalisiert
worden. Daraus ergiebt sich: eine Ausschliessung des gesetz-
lichen Thronfolgers dadurch, dass erbfolgeunfähige Nachkommen
durch Landesgesetz erbfolgefählig werden, kann niemals de
jure eintreten; höchstens kann faktisch das eintreten, dass auf
Grund des Landesgesetzes ein solcher erbfolgeunfähige Nach-
komme unter Ausschliessung des legalen Thronfolgers zur Herr-
schaft gelangt, und dass diese Herrschaft durch die Mächte be-
willigt wird. Die Mächte wären natürlich in unserem Fall vor
allem die übrigen deutschen Staaten, nicht als Mitglieder des
deutschen Reichs, sondern als selbständige souveräne Gemein-
wesen. Daher würde naturgemäss der Widerspruch des grössten
und mächtigsten Staates, Preussen, von selbst eine Legalisierung
dieses Zustandes für immer ausschliessen. Einstweilen kommt
die Frage noch gar nicht in Betracht: die Lippesche Landes-
gesetzgebung ist nicht in der Lage, die legale Successionsordnung
zu ändern, ebensowenig als sie zum Nachteil des legalen Thron-
folgers das Land aus einer Monarchie zu einer Republik machen
könnte. Ob etwa ein successionsunfähiger Descendent künftig
zur Macht gelangt und ob diese Macht durch Zustimmung der
übrigen deutschen Staaten legalisiert wird, ist nicht eine Frage
des Rechts, sondern eine Frage der künftigen Geschichte, über
welche der Jurist zur Aeusserung nicht berufen ist.
89.
Die an mich gestellten Fragen beantworte ich daher, wie
folgt:
1. Die Frage 1: Ist die Gräfin Caroline Wartensleben dem
Grafen Ernst zu Lippe-Biesterfeld ebenbürtig? a) nach gesetztem
oder durch Gewohnheit geltendem Deutschen Recht?
Antwort: Nein.