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genehmigung ergehen durften, so ist der Grundsatz der Gewalten-
teilung, ein aus dem französisch-belgischen Recht hergeleitetes
Axiom, nicht der altgermanische Gesetzesbegriff, zur Einführung
gelangt. Art. 86 preuss. Verf.: „die Gerichte sind keiner
anderen Autorität als des Gesetzes unterworfen“, ist die
Uebertragung des belgischen Satzes, dass die Gerichte könig-
liche und andere Vorschriften der Exekutive nur anzuwenden
haben, soweit sie dem Gesetze konform sind !°2, So erklärt es sich
auch, dass, als die Staatsregierung diesem Satze wenn nicht die
Spitze abbrechen, so doch einen grossen Teil seiner Anwendbarkeit
entziehen wollte — durch Art. 106 —, wonach die Gerichte
königliche Verordnungen nicht in Bezug auf ihre konstitutionelle
Gültigkeit prüfen dürfen, die Gegner des selbständigen Ver-
ordnungsrechts (der Minister a. D. und „Volksmann“ Kısker,
Fischer u. a.) ihre warnende Stimme erhoben. Wenn KısKEr
von „jedem königlichen Befehle“ spricht, der unter Art. 106 falle,
so ist es klar, dass er dabei an die „arr&tes“ des Königs denkt,
zumal ja KIsKErR auch sonst überall auf ausserpreussisches Recht,
z. B. die belgische Verfassung von 1831 und die hannoversche
Verfassung vom 5. Sept. 1848, Bezug nimmt.
Nunmehr soll gezeigt werden, dass es bei Emanation der
preussischen Verfassung als unbedingtes Axiom für den Kon-
stitutionalismus galt: die Gerichte sollen nur den unter Mit-
wirkung des Landtages erlassenen Normen ex professo unter-
worfen sein. Bereits an anderer Stelle habe ich dargethan!!,
dass STAHL !? dieses Axiom als in der konstitutionellen Theorie
herrschendes, wenn auch an sich von ihm nicht anerkanntes
bezeichnet. Stanr hat später!? zugestanden, dass jenes Axiom
sich Eingang in das positive Recht verschafft hat. Ich kann
1092 Anderenfalls wären diese Wörter nach „unabhängige“ ganz entbehrlich.
’! Selbständiges Verwaltungsrecht S. 107.
2 2. Aufl. II 601 £.
3. Aufl. II 888 a. a. O.