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Die Gefahr des Parlamentarismus für das Recht‘.
Von
Dr. JuLius OFner in Wien.
Das parlamentarische System — worunter ich ohne weitere
Unterscheidung zwischen ihren Unterarten die Regierungsform
verstehe, bei welcher die Bevölkerung durch gewählte Vertreter an
der Gesetzgebung teilnimmt —, hat für den Rechtsforscher ein
besonderes Interesse. Es giebt der staatlichen Organisation ein
Juristisches Gepräge. Während im autokratischen System, auf
das es in der Regel folgt, Recht und fürstlicher Befehl, Recht
und Verwaltung ineinander fliessen, schafft es Trennung der
Gewalten, scheidet ihre Kompetenzen und verlangt bestimmte
Formen für ihre Beschlüsse. Es trennt Justiz- und Verwaltungs-
thätigkeit, führt den Rechtsgedanken aber auch in die Verwaltung
ein, und zwingt diese, ein Gebiet unverletzbaren fremden Wollens
als Schranke anzuerkennen. Wohl ist die Grenze zwischen freier
Verwaltung und Verwaltungsrecht in der Theorie schwer zu ziehen.
Auch das freie Ermessen versagt als Merkmal. Der Richter
kann ebenso nach freiem Ermessen urteilen, wie der Verwaltungs-
beamte, und wenn man juristisches und verwaltungstechnisches
Ermessen scheiden wollte, je nachdem ein Recht oder nur ein
Interesse verletzt wird, schliesslich ist jedes subjektive Recht
' Vortrag gehalten in der Wiener Juristischen Gesellschaft.