Full text: Archiv für öffentliches Recht.Achtzehnter Band. (18)

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sagen, dass das Herrenrecht durch Machtgebot geschaffen wird, 
während das Volksrecht sich langsam aus dem Leben heraus 
entwickelt, aus Zweckhandlungen, die zunächst von einzelnen 
gesetzt und dann, wenn sie sich als zweckmässig zeigen, von 
den anderen häufiger und häufiger nachgeahmt werden, bis sie 
volkstümlich geworden sind. Das wirksame Interesse ist bei ihm 
unbefangener, gemeinsamer, weniger streitbar. Aendern sich 
Wirtschaftsweise und soziale Lagerung der Volksschichten und 
mit ihnen auch die allgemeine Ueberzeugung von dem, was dem 
friedlichen Zusammenleben und Zusammenwirken frommt, so 
kann wohl ein Gesetz zur klaren Abthuung veralteter Sitte nötig 
sein. Aber dieses Gesetz ist dann Volksrecht, deklarativ, es 
giebt nur vorhandener Volksüberzeugung den Ausdruck. 
Damit sind wir zur Frage gelangt, welche für uns mass- 
gebend ist. Zu welcher der beiden Arten gehört das parlamen- 
tarische Recht? ist es Herren- oder ist es Volksrecht? 
Die Theorie kann darüber streiten. Wenn wir aber die Erfahrung 
aller Länder fragen, so antwortet sie uns: Das parlamen- 
tarische Recht ist Herrenrecht; Herr ist die parlamen- 
tarische Majoritätspartei?. Das parlamentarische System ist 
die Organisation des Parteiwesens. Es liegt in seiner Struktur, 
dass sich Parteien bilden, dass sie miteinander kämpfen, dass 
die eine Partei siegt, und dass nach dem offenherzigen amerika- 
nischen Sprichwort der Sieger die Beute nimmt. Partei ist im 
Gegensatz zu anderen Schichtungen des Volks die zur Erlangung 
der Herrschaft und Durchsetzung ihrer Wünsche durch Herr- 
schaft organisierte Bevölkerungsgruppe. 
Für die Bildung des Rechts enthält diese Struktur offenbar 
eine grosse Gefahr. Die Majoritätspartei wird, sowie sie gesiegt 
hat, ein anderes Wesen. Sie erhält im Staat eine andere organische 
Stellung. Sie wird Regierung, sie wird Herrin des staatlichen 
® Grundsätzlich hat schon Rousseau ausgesprochen, dass ein Volk, das 
durch Vertreter regiert wird, nur im Momente der Wahl frei sei.
	        
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