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Man wird sich bier für die Unvereinbarkeit entscheiden müssen.
Der Satz von der Trennung der Organe wird doch, wie früher
dargelegt, damit begründet, dass ein jedes einzelne von ihnen
nicht, wie es sich gehört, in seinen Entschlüssen unabhängig von
dem anderen seine Funktionen verrichten kann, wenn es mit ihm
seiner Zusammensetzung nach teilweise identisch ist, d.h. wenn
ein oder mehrere Mitglieder zugleich die Pflicht als Mitglied der
I. und II. Kammer, oder auch eines derselben gleichzeitig die
Volksvertreter- und die Fürstenpflicht zu erfüllen hat. Es ist eine
Kollision der Pflichten, die hier vorläge, die Erfüllung einer
derselben würde darunter leiden, dass mehrere von ihnen ein und
derselben Person oblägen. Nicht in der Person dessen, dem die
Volksvertreterstellung mittels Berufung oder Wahl verliehen werden
soll, sondern in der Konkurrenz der von ihm zu erfüllenden
Pflichten liegt der Hinderungsgrund für den Erwerb der Kammer-
mitgliedschaft.
Während z. B. GEORG MEYER ?° und EsMEIN ?! ebenso, wie
hier ausgeführt, annehmen, dass für die Mitglieder einer Kammer
nur eine Unvereinbarkeit ihrer Stellung mit der Zugehörigkeit
zu der anderen besteht, sprechen sich die Bearbeiter des preus-
sischen Staatsrechtes für die Nichtwählbarkeit der Herren-
hausmitglieder zu Abgeordneten aus ??®. Sie berufen sich dabei,
ohne weitere Erörterungen zu geben, auf Art. 78 Abs. 4 der
preussischen Verfassung: „Niemand kann Mitglied beider Kam-
mern sein.“ Hieraus wird offensichtlich gefolgert: Einem Herren-
hausmitgliede kann mittels Wahl nicht die Abgeordnetenstellung
verliehen werden. Die Wahl würde also ungültig sein. Nun ist
2? Meyer, Wahlrecht S. 462, wo dies aus dem letzten Satze von
Abs. 4 folgt.
2! EsmEIN a. a. O. S. 466.
22 BornHAK Bd. I S. 391; v. Rönne-Zorn, Preussisches Staatsrecht
Bd. IS. 313; STenakL a. a. O. S. 80; Arnprt, Verfassungsurkunde für den
preuss, Staat 4. Aufl. S. 308 Anm. 4; ScHwaARTZz a. a. O. S. 224; SCHULZE,
Preussisches Staatsrecht Bd. I S. 589.