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scheitern gerade an Herrn Zürcher, der immer nur die zu weit gehende
Begrifisspaltung beklagt und in der Entwicklung der Strafgesetzgebung, wie
sie seit 90 Jahren sich in der Schweiz und in Deutschland abgesponnen hat,
lediglich eine grosse Kopistenarbeit erblickt. All diesen Schwankungen
gegenüber, denen die schweizerische Reform unterworfen war, wünscht
VON SCHAUENSEE der deutschen Reform und fordert für sie klare, konsequente
Durchführung eines bestimmten Prinzips. Er meint, durch den Gang der
Verhandlungen über den Stooszschen Entwurf sei der beste Beweis für
solche Notwendigkeit geführt. Er meint ferner, nur durch die Auffassung
der Strafe als gerechter Vergeltung könne ein Reformgesetzeswerk gelingen.
Mit allem Nachdruck wird (S. 67) gegen den Schluss des Buches noch ein-
mal auf das Gefährliche und Sinnverwirrende der von Lisztschen Tendenz,
sowohl wissenschaftlich als praktisch jede prinzipielle Entgegenstellung von
Strafe und Sicherungsmassregel zu eliminieren, hingewiesen und schliesslich
erneuert auf den Vorteil hingewiesen, den auch Deutschland aus der ver-
gleichenden Betrachtung der Österreichischen und schweizerischen Rechts-
institutionen thatsächlich ziehen könne.
2. Diekriminalistischen Schulen und die Strafrechtsreform. Rede
beim Antritt des Rektorats am 31. Oktober 1902 gehalten von Adolf
Wach. Leipzig, Verlag von Duncker & Humblot. 30 8. Preis 80 Pf.
Mit der ihm vor anderen eigenen glänzenden Diktion und ideal hohen
Hingabe an seine Wissenschaft entwickelt Wach die geschichtliche Ausbil-
dung der kriminalistischen Schulen, ihre gegenwärtige Gestalt, ihre Stellung
zu einander und die Möglichkeit, in einzelnen Punkten der Strafrechtsreform
die gegensätzlichen Richtungen zu vereinigen. Gedankenreich weist die Ein-
leitung auf den steten Entwicklungsfluss der Rechtsbildung. Alles Recht ist
selbstgeschaffene Zweckbildung. Jede Betrachtung de lege lata mündet aus
in eine solche de lege ferenda. Das rastlos fortschreitende Leben stellt uns
stets von neuem die Frage, ob das, was gilt, wert ist, fortzugelten. Für
uns, deren Recht sich fast nur noch in Gesetzesform entwickelt, ist eine
solche kritische, legislativ-politische Betrachtungsweise selbstverständlich, und
sie zu einer methodischen zu erheben, eine der obersten Aufgaben. WacH
setzt der von Lısztschen Behauptung, die Wissenschaft dürfe nicht gleich
dem Gesetzgeber Kompromisse über Wahres und Wirkliches schliessen, die
These gegenüber: die Rechtswissenschaft sei eine schlechthin praktische
Wissenschaft, ihr sei die Erkenntnis des Seins und der wirkenden Kräfte
das Mittel zur Neuschöpfung. Für das Leben uwnbrauchbare Resultate be-
weisen den wissenschaftlichen Abweg. Es giebt keine doppelte Wahr-
heit, eine wissenschaftliche und eine Lebenswahrheit. Das
Wahre muss auch das Wirkliche werden. — Anschaulich wird im
Abschnitt I ein Ueberblick zu geben versucht, einerseits über die Gleich-
form, Stabilität und auch über eine vermeintliche Rückständigkeit des heutigen