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deutschen Strafrechts, andererseits über die Wandlungen unseres politischen
und wirtschaftlichen Daseins, über die Energie, mit welcher sich das soziale
Element gegenüber dem Individualismus im sittlichen Bewusstsein, in der
Politik und im Güterleben geltend macht, über die Erfahrungen des Straf-
vollzuges und über das Wachsen der Kriminalität, in welchen Thatsachen
für Wach die Gründe der Reformbedürftigkeit liegen. Andererseits wird auch
hier schon das radikale Programm der neuen Schule und ihre Behauptung,
wirklich neue Horizonte der Wahrheit und des Gedeihens erschlossen zu haben,
beanstandet. Mit besonders gutem Griff stellt Abschnitt IT in den Vordergrund,
wie jeder Kampf wissenschaftlicher Richtungen dann in Verfälschungen und
irreführende Differenzierungen ausarte, wenn ihm das Politische und damit das
Menschlichleidenschaftliche anhafte, und wenn der Streit auf die Grund-
fragen unseres Seins zurückgehe. Beides ist hier der Fall, und daher dient das
Schlagwort als Panier. Das Unrichtige solcher Kampfesweise wird an den
Losungsworten Zweck- und Vergeltungsstrafe, sowie deduktive und induktive
Methode dargethan. Die unüberbrückbaren Gegensätze der klassischen und
der positiven Schule werden auf die verschiedene methodische Behandlung
des Stoffes zurückgeführt. Professor Wach, bekanntlich Vertreter der klassi-
schen Schule, weist folgende Fehler in der methodischen Behandlung der
Positivisten nach: 1. Die Frage nach den gesetzmässig wirkenden Ursachen
des strafbaren Handelns führt auf einen jeder Erfahrung widerstreitenden Irr-
weg; 2. die Begrenzung und Isolierung des wissenschaftlichen Objekts auf
Verbrecher, Verbrechen und Verbrechertum als soziale Erscheinung, das
Suchen nach den eigenartigen gesetzmässig, d.h. zwingend und berechenbar
wirkenden biologischen und sozialen Ursachen des Verbrechens drängt auf
einen zu schmalen Weg, der niemals zur Erkenntnis führt; 3. die Behand-
lung der Strafe durch die Kriminalsoziologen als eines sozialen Schutz- und
Heilmittels nach festem Programm, die Berechnung der Strafe auf die Person
des sozialen Schädlings, die „Gesinnungsstrafe“ wird als ein „eigentümliches,
für viele bestrickendes Gewebe von Wahrheit und Irrtum“ entwirrt, in dem
der Rückfall in längst überwundene Entwicklungsstadien unschwer zu erkennen
ist. Wach schlägt seine Gegner mit deren eigenen Waffen, indem er be-
weist, dass die Gesinnungsstrafe nicht nur im Widerspruch mit der grund-
sätzlichen Scheidung von Recht und Moral, sondern auch mit dem Prinzipe
der soziologischen Wissenschaft steht. Damit aber, meint Wach, sei dar-
gethan, dass es eines Kompromisses der kriminalistischen Schulen zum Zwecke
der Verbesserung unserer Gesetzgebung nicht bedarf, und dass der Boden,
auf dem die klassische Schule steht, nicht verlassen werden kann noch wird.
Die klare Bestimmtheit, mit der Professor WacH sich hier auf den
einen, auch unseres Erachtens allein richtigen Standpunkt festlegt, ist um
so wertvoller, als er inzwischen in die Reichskommission zur Vorberatung
der Strafrechtsreform getreten ist. Abschnitt III wendet sich den zwei
Hauptpunkten zu, in denen die Kriminalsoziologen und die klassi-