Full text: Archiv für öffentliches Recht.Achtzehnter Band. (18)

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ausgestattete Gewalt nicht mehr dem Verein der Einzelstaaten, 
sondern dem Gesamtvolk der Union zustehen müsse!”. Es ge- 
nügte, dieses Gesamtvolk zu Worte kommen zu lassen, es zu 
organisieren, so dass es seinen Willen äussern konnte, dann war 
es sofort der Herrscher über das Ganze und alle seine Teile. 
Seit die Staaten überhaupt einmal sich zusammengethan hatten, 
schlummerte der neue gemeinsame Souverän schon immer im 
Hintergrunde, um im geeigneten Augenblicke wach zu werden ®, 
Daher gestaltete sich die neue Verfassung der Union in aus- 
gesprochenem Gegensatze zu der bisherigen. War die alte ihrem 
Wortlaute nach ein Vertrag zwischen den Bevollmächtigten der 
Einzelstaaten und namens dieser errichtet mit der feierlichen 
Schlussformel: we do further solemnly plight and engage the 
faith of our respective constituents, that they shall etc. — so 
1" Die grundlegende Pennsylvaniakonvention war berufen worden, um 
diejenigen Verfassungsänderungen vorzuschlagen, welche nötig wären, um 
den Bund mit einer Regierung auszustatten. Sie begann aber sofort mit 
der Resolution, dass „a national government“ eingesetzt werden soll; „nation“ 
ist das organisierte amerikanische Gesamtvolk. In diesem Sinne dann auch 
der Abgeordnete JamEs Wırson: „By adopting this constitution we shall 
become a nation; we are not now one“ (Bryce, Am. common wealth Bd. I 
S. 29 Note 1). Doch wurde andererseits auch hervorgehoben, dass man 
eigentlich schon immer volksartig zusammengehört habe (The federalist 
n. X: the British colonists of Nordamerika were in chief respects „one 
people“). 
i8 Für diese Spannkraft der republikanischen Staatsidee haben wir ein 
merkwürdiges Zeugnis bei unserem Kant, der ja Rousseau und der repu- 
plikanischen Denkweise sehr nahe stand. Das Volk, die durch einen „ur” 
sprünglichen Kontrakt“ vereinigte Masse, so sagt er in den metaphysischen 
Anfangsgründen der Rechtslehre $ 52, ist der natürlicbe Träger der obersten 
Gewalt; thatsächlich kann ein anderer Souverän sich vorschieben, dann hat 
er ein „provisorisches Recht“; der Besitzstand ist zu achten. Aber sobald 
der eigentliche Souverän durch irgend einen Zufall zur Wirksamkeit gelangt, 
ist es aus damit. Das war der „Fehltritt* Ludwigs XVL: indem er die 
Nationalversammlung mit der Besorgung der Steuern und den Massregeln 
zur Verhinderung weiterer Schulden, also mit der Herrschergewalt betraute, 
machte er thatsächlich die Republik fertig, denn der einmal herausgerufene 
Souverän war nicht verpflichtet, sich wieder zurückzuziehen,
	        
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