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Zweigen der Rechts- und Staatswissenschaft gerade die all-
gemeine Staatslehre die geringsten Spuren von dem grössten
Prinzipienstreit unserer Tage auf. Lange hat es die Jurisprudenz
überhaupt vermieden, davon Notiz zu nehmen; neuerdings hat
namentlich das Privatrecht infolge seines unmittelbaren Zu-
sammenhanges mit dem Wirtschaftsleben sozialpolitischen Ge-
danken weiteren Raum geben müssen, auch in der Strafrechts-
wissenschaft haben sie sich geltend gemacht; die allgemeine
Staatslehre jedoch geht auch in ihren neuesten Erscheinungen
mit einigen gelegentlichen Bemerkungen daran vorüber. Hier
tritt nun MENGER mit seiner ex professo sozialistischen Staats-
lehre ein.
Jene gegenseitige Ignorierung zwischen Sozialismus und
staatsrechtlicher Theorie steht in seltsamem Kontrast zu der
Thatsache, dass das sozialistische Programm auf die denkbar
weiteste Ausdehnung der Funktion des öffentlichen Rechts hinaus-
läuft; kann man doch geradezu das Endziel des Sozialismus ju-
ristisch dahin formulieren, dass er die Umwandlung des ganzen
Privatrechts — allenfalls mit etlichen geringfügigen Reservaten
bezüglich der Verbrauchsgüter — in Öffentliches Recht anstrebt,
wie dies auch MENGER bekundet. Damit ist sofort die grosse
präjudizielle Frage gegeben, ob irgend eine der Rechtsformen
staatlicher Organisation, welche die bisherige Staatslehre kennt,
fähig wäre, durch ibre publizistische Rechtsordnung das gesamte
Recht zu absorbieren, oder ob vielmehr sich jene neue Staats-
kompetenz nur im Rahmen einer neuen Staatsorganisation ver-
wirklicht denken lässt. Dass die wissenschaftlich offizielle Staats-
theorie, die aus mannigfachen Gründen den Sozialismus überhaupt
für unrealisierbar hält, sich einer Beantwortung jener heiklen
Frage überhebt, ist leicht begreiflich; nicht ganz so einfach er-
klärt sich das gleiche Verhalten des wissenschaftlichen Sozialis-
mus zu jener Frage. Jedoch findet man jedenfalls für die
herrschende marxistische Richtung den Erklärungsgrund in der