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der beweglichen Menge zu verhüten und der bisherigen Regierung die
Verbesserung ihrer Fehler zu ermöglichen, müsste eine wiederholte Ab-
stimmung in längeren Zeiträumen (etwa drei Abstimmungen nach je fünf
Jahren) stattfinden“ (S. 217/18).
Wenn so ein Bruchteil des Volkes unter bestimmten Voraus-
setzungen einem ungerechten oder kulturfeindlichen Staat den
Rücken kehren könne, hält MENGER einen grossen Teil der ver-
fassungsmässigen Garantien gegen den Missbrauch der Regierungs-
gewalt für überflüssig !
Den praktischen Wert dieses Surrogats von Rechtsgarantien
im Staate braucht man nicht ernsthaft zu erörtern. Wer jedoch
die Geschichte der Rechtsphilosophie kennt, den wird gerade dieser
Gedanke besonders lebhaft an die Staatstheorien FiCHTEs erinnern.
Und in der That steht MeEnGer keinem seiner staatsphilosophischen
Vorgänger so nahe wie diesem verlorenen Sohne des Vernunft-
rechts, dem Lieblingsphilosophen FERDINAND LaAsALLEs. Diese Ver-
wandtschaft gründet sich nicht auf äussere Aehnlichkeiten des
ihnen beiden vorschwebenden Staatsideals; stellt man MENGERS
volkstümlichen Arbeitsstaat neben FicHTEs geschlossenen Handels-
staat, so wird man neben der Uebereinstinnmung auch Gegensätze
genug in vielen wichtigen Punkten finden. Innigst verwandt jedoch
sind sie durch den innersten Kern ihres Gedankensystems. FICHTES
staatsphilosophischer Individualismus schlägt durch die Berührung
mit den ökonomischen Problemen in extremen Sozialismus um;
MENGERs ökonomischer Sozialismus schlägt durch die Berührung
mit den Problemen staatlicher Organisation in extremen Indivi-
dualismus um. Da er jedoch die Unmöglichkeit der Staatsnegation,
zu der der konsequente politische Individualismus im Anarchismus
gelangt, erkennen muss, so fällt er vollständig in den alten eu-
dämonistischen Absolutismus zurück, der ja auch die Einzelnen
um der Einzelnen willen entrechtete. Es ist ein seltsamer Kreis-
lauf der Ideen, der vom alten Eudämonismus zur extrem indıi-
vidualistischen Rechtsphilosophie, von dieser zum Sozialismus und
vom Sozialismus wieder zum alten Eudämonismus zurückführt.