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V.
Dem heutigen individualistischen Machtstaat stellt MENGER
den volkstümlichen Arbeitsstaat gegenüber. Dass Arbeitsorgani-
sation auch und zwar in höchst gesteigertem Masse Machtorgani-
sation ist, haben wir gesehen. Machtstaat und Arbeitsstaat sind
daher keine möglichen Gegensätze; der Gegensatz muss vielmehr
in den Eigenschaftsworten liegen. Nun würden wir heute schier
unwillkürlich dem Attribut individualistisch das Attribut sozia-
listisch entgegensetzen. Das thut jedoch MENGER nicht; er be-
dient sich vielmehr des Eigenschaftswortes volkstümlich, womit
er einen selbst politisch durchaus verschwommenen, juristisch
absolut unfassbaren Begriff anschlägt. Zu dieser vorsichtigen
Verschwommenheit hat er freilich seinen guten Grund. Denn
wenn man der individualistischen die sozialistische Anschauung
entgegenstellt, kann das keinen anderen denkbaren Sinn haben,
als dass diese Anschauung von der Gesamtheit, nicht von den
Einzelnen als begrifflicher Grundlage ausgeht. Eine sozialistische
Staatsanschauung kann also im Gegensatz zur individualistischen
nur davon ausgehen, dass der Staat etwas anderes ist als die
blosse Summe der Individuen, nämlich eine lebendig selbständige
Gesamtheit über ihnen, ein soziales Gemeinwesen, juristisch aus-
gedrückt: eine Gesamtperson.
Da kommen wir aber bei MENGER schön an. Darin, dass
„man dem Staate eine selbständige Persönlichkeit zuschrieb und
damit ein von der Bevölkerung verschiedenes Fabelwesen schuf“,
sieht er geradezu den theoretischen Grund für die Fortexistenz
des individualistischen Machtstaates, weil damit den Machthabern
die Möglichkeit gegeben war, ihre individuellen Interessen jenem
Fahelwesen als seine Zwecke unterzuschieben (S. 206). Dagegen
sollen in Zukunft die „individuellen Lebenszwecke der breiten
Volksmassen“ massgebend sein. Begrifflich würde das an dem
von MENGER so verpönten Zustande offenbar gar nichts ändern;
denn da er sich im Zukunftsstaat eben die breiten Massen als