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Gliedes eines sozialen Gemeinwesens erkennt, kann man die
soziale und staatliche Entwicklung wissenschaftlich begreifen; alle
Verfassungskämpfe drehen sich im letzten Grunde um die Frage
des Einflusses der Einzelwillen bei der rechtlichen Organisation
des (emeinwillens. Von rein individualistischem Standpunkte
aus hat im demokratischen Sinne in der That RousszAu das
letzte Wort gesprochen mit seinem Prinzip der absoluten Gleich-
heit, Diese verwirft MENGER mit guten Gründen; aber er ver-
harrt beim Individualismus, bricht daher die ganze organisatorische
Entwicklung des modernen Verfassungs- und Rechtsstaats kurzer-
hand ab und verfällt in eine rein individualistische Zweck- und
Interessentheorie. Sein Zukunftsstaat entwickelt sich daher nicht
nach dem Prinzip der Evolution, sondern er soll gemacht werden.
Aber von wem, da es doch nur isolierte Individuen nach dieser
Anschauung giebt? Wir hören fortgesetzt, dass der volkstüm-
liche Arbeitsstaat dies oder jenes thun wird; das kann naclı
MENGERs Anschauung doch nur heissen, dass die künftigen
Machthaber nach MEnGERs Rat so handeln sollen. Aber wie
kommen sie in ihre Machtstellung? Durch die Einführung des
volkstümlichen Arbeitsstaats. Aber wer anders kann naclı
MENGERS Auffassung diesen einführen, als die gegenwärtigen
Machthaber; und weshalb sollten sie das thun? Die Einführung
des sozialistischen Staates durch eine Revolution erklärt MENGER
zwar nicht für ungerecht, wohl aber für unzweckmässig, ja un-
möglich; denn die notwendige Vorbedingung für eine solche Um-
wälzung sei die sittliche Wiedergeburt aller Individuen, die nur
als Ergebnis einer langen Volkserziehung denkbar sei.
„Eine plötzliche sozialistische Schilderhebung kann ihr Ziel ebensowenig
erreichen als etwa ein Gesetz, dass alle Staatsbürger von einem bestimmten
Zeitpunkt an weise und tugendhaft sein sollen“ (S. 305/06).
Er stellt die Einführung seines Zukunftsstaates in Parallele mit
derjenigen des Christentums, nur dass sie weniger gewaltthätig
als diese vor sich gehen solle. Aber er muss doch den geradezu