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Dr. Jakob Weismann, Prof. in Greifswald, Lehrbuch des deutschen Zivil-
prozessrechts. I. Bd. Stuttgart, F. Enke, 1903. X und 574 S.M. 16.—.
Trotzdem wir verschiedene schätzenswerte Lehrbücher des Zivilprozess-
rechts in Deutschland haben, ist bei dem starken Ueberwiegen seiner kom-
mentarischen Bearbeitung das Erscheinen einer neuen systematischen Dar-
stellung ein Ereignis. Auch vom Standpunkte der Staatsrechtswissenschaften
aus. Denn je mehr man sich bewusst wird, dass eine der wichtigsten Kul-
turaufgaben unseres Staatswesens der rasche, kräftige und treffsichere
Schutz der privatrechtlichen Interessenkreise ist; dass sich die Staatsgewalt
in dem öffentlichrechtlichen Gebiete des Zivilprozesses ganz besonders zur
Förderung des allgemeinen Wohlstandes, zur Sicherung von Handel und Ver-
kehr zu betätigen hat, um so wichtiger ist es, die Rechtsregeln dieser Schutz-
pflicht sorgsam auszubauen; aber auch durch gute Lehre bei ihrer Hand-
habung den Erfahrenen zu unterstützen, den noch Unerfahrenen anzuleiten.
Wie den angedeuteten Zusammenhang zwischen den Aufgaben des Staates
und dem Prozessrecht bekanntlich der Mitherausgeber dieser Zeitschrift,
Prof. Dr. LABAnD, in seinem „Staatsrecht des Deutschen Reiches“ (3. Aufl.)
Bd. II S. 326ff. in so trefflicher Weise dargetan hat, so geht auch der
Verf. dieses neuesten Lehrbuchs des Zivilprozesses davon aus (S. 1—12) und
fasst nicht minder jenes Ziel der Lehre, wie das Vorwort zeigt, fest ins Auge.
Wer das Weısmannsche Werk durchblättert, wird sich nicht nur der
klugen Beschränkung in der Auswahl des Stoffes und der Literaturnachweise
freuen, sowie der dadurch gewonnenen Uebersichtlichkeit der Darstellung;
er wird auch ganz besonders ihren besonnenen und sorgfältig abwägenden
Geist angenehm empfinden, — die Feinfühligkeit des Gelehrten, dem doch
das wild und rücksichtslos kämpfende Rechtsleben nicht fern steht. Viel-
fach vertritt der Verf. gerade die praktisch brauchbare unter den streitigen
Ansichten und weist bei theoretischen Subtilitäten auf ihren geringen Wert
hin, z. B. S. 114, Anm. 20 a. E. (Behauptungspflicht auch bei offenkundigen
Tatsachen), S. 307 (Vollmachtsprüfung im Anwaltsprozesse), S. 368 (kosten-
fällige Klageabweisung gegen den vollmachtslosen Vertreter) usw. Man
wird auch beim Verf. die einfache Klarheit des Vortrages und den wohl-
tuenden Mangel an blendender Phrase rühmen; versteht er es doch sogar,
dem „Rechtsschutzanspruche*, wie S. 11 zeigt, aus dem Wege zu gehen.
Nach der „Einführung“ über Begriff und Zweck des Prozesses im ersten
Teile zerlegt WEISMANN seinen Stoff in drei weitere Teile: „Organisation der
Zivilrechtspflege*, das „ordentliche Streitverfahren* und die „besonderen
Prozessarten“ (Urkunden- und Wechselprozess, Familien- und Statusprozesse
und Mahnverfahren); und dann den dritten Teil, in einer, soviel ich sehe, durch-
aus selbständigen Einteilung wieder in neun Bücher: „Grundlegung des
Rechtsstreits“, „Urteilsgrundlage“, „Entscheidung über den Klageanspruch*,
„Prozessverkehr und Prozessbetrieb“, die „Prozesshandlungen“, der „Rechts-
streit als Handlungsgesamtheit“, „Rechtsmittel und Wiederaufnahme des Ver-