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Man darf aber auch in dieser Beziehung den Gegensatz
zwischen England und den festländischen Staaten nicht so scharf
akzentuieren, wie dies von englischen Staatsrechtslehrern unter der
Führung von Dicey und jetzt auch von REDLICH geschieht. In den
Ländern, wo (wie z. B. in Preussen) der Oberverwaltungsgerichts-
hof mit denselben Garantien richterlicher Unabhängigkeit aus-
gestattet ist wie die ordentlichen Gerichte, ist die Gesetzmässig-
keit von Verwaltungshandlungen in dem gleichen Masse gesichert
wie in England. Die Tatsache, dass für Verwaltungssachen ein
besonderer Gerichtshof die Oberinstanz ist, während in England
das House of Lords höchste Instanz für alle Rechtsstreitigkeiten
ist, bedeutet keinen unüberbrückbaren Unterschied. Es kann
daher auch nicht der Ansicht REpLicHs beigepflichtet werden, nach
welcher England „auch heute kein Verwaltungsrecht und keine
Verwaltungsrechtsprechung im technischen Sinne dieser Worte“
kennt. Der Satz könnte nur gelten, wenn man, wie dies Dicey
tut, den Begriff „Verwaltungsrecht“ als den Inbegriff derjenigen
Verwaltungsgrundsätze auffasst, welche nicht auf dem gewöhn-
lichen Rechtswege geltend gemacht werden können, und wenn
man unter Verwaltungsrechtsprechung ausschliesslich die Recht-
sprechung besonderer Verwaltungsgerichte versteht. Diese Ter-
minologie führt aber nur zu Verwirrungen. Beherzigenswert ist
in dieser Beziehung die Aeusserung des Amerikaners GOODNOW
(Comparative Administrative Law Vol. 1 p.6): „Die Tatsache,
dass in England und den Vereinigten Staaten die Existenz eines
Verwaltungsrechtes nicht zugegeben wird, beruht in Wahrheit
nicht auf dem Nichtvorhandensein eines solchen Rechts, sondern
vielmehr auf dem bekannten Umstande, dass den englischen
juristischen Schriftstellern eine Klassifikation ihres Rechts noch
nicht gelungen ist. Denn nicht nur war in England und ebenso
bei uns stets ein Verwaltungsrecht im festländischen Sinne des
Wortes vorhanden, sondern dieses Recht hat auf die angel-
sächsische politische Entwicklung einen Einfluss gehabt, der