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folgeberechtigten aufgenommen. Anscheinend entsteht damit ein
Widerspruch zwischen Verfassungsrecht und agnatischem Rechte.
Es läge die Frage nahe, warum zur Vermeidung dieses an-
scheinenden Widerspruches der russische Verzicht und das olden-
burgische Verfassungsgesetz die Uebertragung nicht auf die ältere
Linie Sonderburg-Augustenburg vorgenommen haben. Zwei Ge-
sichtspunkte kommen dabei in Betracht, die hausrechtliche Auf-
fassung und das nationale Empfinden.
Nach der Auffassung des Hauses Holstein-Gottorp dient
Oldenburg zum „Etablissement“ der jüngeren Linie, es ist eine
Sekundogenitur des Gresamthauses !*. Wenn nun das Haus Hol-
stein-Gottorp vollständig ausscheidet, und an seine Stelle der
Sonderburger Zweig des Gesamthauses tritt, so liegt es nahe,
die bisherige Auffassung der Familie auch auf die veränderten
Verhältnisse zu übertragen und in dem Grossherzogtum der
Jüngeren Linie des nunmehr allein noch übrig bleibenden Zweiges
Sonderburg eine Ausstattung zu gewähren. Diese Auffassung
eines bestimmten Thrones als Sekundogenitur eines Hauses ist
keineswegs abhängig davon, dass die Hauptlinie sich noch im
Besitze der Herrschaft über irgend ein Gebiet befindet. So gilt
das Königreich Rumänien nach der Auffassung des fürstlichen
Hauses Hohenzollern als dessen Sekundogenitur. Bei der Kinder-
losigkeit des Königs Karl wurde daher nicht der ältere, sondern
der jüngere Sohn seines Bruders, des Fürsten von Hohenzollern,
zur Thronfolge in Rumänien berufen. Diese patrimoniale Auf-
fassung der Staatsherrschaft als eines ererbten Familienbesitzes
entspricht allerdings nicht mehr den heutigen staatlichen Ver-
hältnissen und findet daher nicht ohne weiteres in der verfassungs-
* So sagt KEKULE v. STRADONITZ in seinem Aufsatze „Das Haus Olden-
burg“ in No. 133 der Kreuzzeitung vom 19. März 1904 ganz richtig: „Es
muss nun gesagt werden, dass im Sinne der Familienanschauung der Linie
Holstein-Gottorp das Grossherzogtum Oldenburg mit seinen Zubehörungen
nichts weiter ist als eine Versorgung für den jüngeren zweiten Ast der Linie
Holstein-Gottorp oder für den jüngsten Ast des Gesamthauses Oldenburg.“