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mässigen Rechtsordnung ihren Ausdruck. Wohl aber kann sie
der Grund für die verfassungsmässige Gestaltung des Thronfolge-
rechtes auch heute noch werden.
Diese Familienauffassung deckt sich aber mit den nationalen
Bedürfnissen des deutschen Volkes und des Grossherzogtums.
Weshalb haben die in Russland ansässigen Mitglieder des Hauses
Holstein-Gottorp überhaupt verzichtet? Wenn der russische
Kaiser Thronfolge und Regentschaft des Grossherzogtums nicht
wohl übernehmen konnte, so war doch das russische Kaiserhaus
an Mitgliedern zahlreich genug, dass der Verzicht zu Gunsten
eines jüngeren Grossfürsten und seiner Nachkommen hätte aus-
gesprochen werden können. Es hätte in diesem Falle nicht ein-
mal eines besonderen oldenburgischen Verfassungsgesetzes bedurft,
da die oldenburgische Regierung das Thronfolgerecht des älteren
Zweiges Holstein-Gottorp stets anerkannt hat. Aber ein solches
Ergebnis der Thronfolge eines Fürsten fremder Nationalität und
andern religiösen Bekenntnisses hätte, wie das Beispiel von
Sachsen-Koburg-Gotha wiederholt gezeigt hat, das nationale
Empfinden des deutschen Volkes aufs schwerste verletzt. Der
hochherzige Verzicht des Kaisers von Russland hat daher als
eine Rücksichtnahme auf die Gefühle des deutschen Volkes und
als ein Zeichen der guten politischen Beziehungen zwischen
Deutschland und Russland sympathische Anerkennung gefunden.
Nun ist aber die Ehe des Hauptes der Sonderburg-Augusten-
burger Linie, des Herzogs Ernst Günther, kinderlos, die nächste
Linie des Prinzen Christian ist englisch geworden. Es hätte also
die Gefahr bestanden, dass die Thronfolge statt an einen Russen
an einen Engländer gefallen wäre. Das konnte nicht der Zweck
des russischen Verzichtes sein.
Wie stark diese politischen Gründe sein mögen, so fragt es
sich doch, ob die Gesetzgebung ihnen Geltung verschaffen darf
ohne Zustimmung der nach agnatischem Rechte zunächst be-
rufenen Linie Augustenburg. Das heisst mit andern Worten:
Archiv für öffentliches Recht. XIX. 2. 15