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viel ferner als die Annahme, dass der Art. 75 a.a. O. als selbst-
verständlichen Inhalts in die Reichsverfassung keine Aufnahme
gefunden hat.
Nach alledem ist an dem Satze festzuhalten: Die Legislatur-
periode beginnt am Tage der allgemeinen Wahlen ’°?,
Diese Meinung findet ihre Unterstützung an der der preus-
sischen entgegengesetzten Stellungnahme der Reichsregierung und
Reichsgesetzgebung®?, welche in folgenden Fällen Ausdruck
gefunden hat:
1. In den Motiven zum Entwurf eines Wahlgesetzes, welche
dem Reichstage des Norddeutschen Bundes vorgelegt wurden,
heisst es®*: „Die Wahlen für die erste Legislaturperiode
82 TJebereinstimmend: LABAnD, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches
Bd. 1 (4. Aufl. Tübingen und Leipzig 1901) S. 315 Anm. 1; Deutsche Ju-
ristenztg. a. a. O. 1902 S. 489 ff.; von SEYDEL, Kommentar zur Verfassungs-
urkunde für das Deutsche Reich (2. Aufl. Freiburg i. B. und Leipzig 1897) S. 204;
Der Deutsche Reichstag, Annalen des Deutschen Reichs 1880 S. 369; G. Merkr
a. a. O. S. 404f.; TuupicHhum, Verfassungsrecht des Norddeutschen Bundes
und des Deutschen Zollvereins (Tübingen 1870) S. 160; von Rönne, Das
Staatsrecht des Deutschen Reiches Bd. 1 (2. Aufl. 1876) S. 252; von KırcHEN-
HEIM, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts (Stuttgart 1887) S. 307; MÜLLER
a & OÖ. S. 14 fi.; AnscHütz, Deutsches Staatsrecht in von Holtzendorffs En-
zyklopädie der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., hrsg. von Kohler, Bd. 2 (Leipzig
und Berlin 1903) S. 553; Freunn, Die Regentschaft nach preussischem Staats-
recht (Breslau 1903) S. 54 Anm. 2. — Abweichend ausser HERRFURTH a. a. O.
S. 2fl.: Arnpr a. a. 0. S.477f.; Verfassung des Deutschen Reiches (2. Aufl.
Berlin 1902) S. 163; Das Staatsrecht des Deutschen Reiches S. 133ff.; „Ueber
Anfang, Unterbrechung und Schluss der Legislaturperioden“ a. a. 0. S. 734f.;
Bock, Das. Staatsrecht des Deutschen Reiches (Stuttgart 1902) S. 128. —
Anderseits nimmt ARNDT a.a. 0, S. 737 an, dass eine politische Pflicht dem
Kaiser gebietet, den Reichstag spätestens fünf Jahre nach dem Wahltage zu
schliessen, weist es also zurück, aus seiner eigenen Meinung praktische Kon-
sequenzen zu ziehen.
38 Die preussische Praxis, welche schon für Preussen kein Recht ge-
schaffen hat, ist für die Auslegung des Art. 24 RV um so weniger belangreich.
Vgl. auch LaABann, Deutsche Juristenztg. a. a. O. 1902 S. 489.
®% Drucksachen des Reichstages des Norddeutschen Bundes I. Legislatur-
periode, Session 1869 No. 17 (Stenographische Berichte Bd. 3 S. 143).