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mänpischer und wissenschaftlicher Leistungsfähigkeit stehender Mann zu
Zeugen der Entstehung, der Ausgestaltung und praktischen Wirksamkeit des
umfangreichen Kongostaates macht. E. Descamrs, der ernste Forscher
und der mitschaffende Staatsmann, war hierzu in erster Linie berufen; er hat
erheblichen persönlichen Anteil sowohl an den staatsrechtlichen und völker-
rechtlichen Vorarbeiten für jenen bedeutungsvollen kolonialen Staatsbildungs-
prozess, wie auch an den politischen Vorgängen, die die Genesis des
Kongostaates so eng mit dem öffentlichen Leben des belgischen Staates ver-
knüpft haben. — Unser Urteil über wichtige zeitgenössische Tatsachen und
Zusammenhänge beruht meist auf fragmentarischen, aus der Tagespresse ge-
schöpften Daten. Wer das auf exakter quellengeschichtlicher Forschung
sicher aufgerichtete Werk Descamps’ durcharbeitet, wird au manchen Stellen
zu einer Revision bisher feststehender Urteile und Vorurteile in Ansehung
des grossen Kolonialstaates am Kongo gelangen. Man kommt beim Studium
der vorliegenden Darstellung des Werdeganges des Etat civilisateur dans
les pays neufs, bei Descamps’ Orientierung über die Ziele und treibenden
Kräfte, die den König von Belgien zur entscheidenden Problemstellung ver-
anlasst haben, zur Einsicht, dass die moderne Periode der kolonialen Land-
nahme für Belgien doch einen ganz andern Exponenten aufweist als für alle
andern europäischen Mächte und dass sich auch in diesem Falle wieder das
grosse politische Ingenium des Hauses Koburg-Gotha aufs neue glänzend
bewährt hat gegenüber den Schwierigkeiten des parlamentarischen Regiments,
das seiner inneren Natur nach kolonialen Versuchen gegenüber die röntgen-
artige durchdringende Voraussicht regelmässig vermissen lässt. — Parteilos
und klar zeigt der gelehrte Verf. die Grösse der Aufgaben des neuen Staates
an der Hand dessen alle Schwierigkeiten staatlicher und internationaler Natur
steigernden örtlichen Lage; seinen Einfluss auf das moderne Kolonial-
rechtssystem, das durch die Berliner Kongoakte auf der einen, die
Brüsseler Antisklavereiakte auf der andern Seite eine völlige Erneuerung
seines Gehalts an positiven Rechtsinstituten erfahren hat. Wer im Hinblick
auf diesen reformatorischen Charakter des neugeschaffenen Handels-, Schiff-
fahrts-, Personen- und Güterumlaufsrechts der kolonialen Staatsgebilde in
Atrika den eingehenden Schilderungen Descamps’ folgt über den Aufbau und
den systematischen Zusammenhang der Staatseinrichtungen des neuen grossen
politischen Gebildes am Kongo, — der wird sich bei gerechter Würdigung der
enormen Hemmnisse, die dem normalen Wirken des jungen Staates entgegen-
standen und noch entgegenstehen, keineswegs den Blick trüben lassen durch
die bisher in die Oeffentlichkeit gedrungenen Konfliktsfälle und Missgrifte ein-
zelner Funktionäre aus dem Amtsapparat des Kongostaates. Er wird viel-
mehr nicht ohne Bewunderung für die Leistungsfähigkeit des jungen Mechanis-
mus sich nur über die verhältnismässig geringe Zahl von Dissonanzen und
Interessenkämpfen wundern, die sich auf dem weiten Versuchsfeld moderner
Staatskunst ereignet haben. Die für alle Zweige der Verwaltung und der