Full text: Archiv für öffentliches Recht.Neunzehnter Band. (19)

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beschränkungen, von völkerrechtlichen Belastungen und Servituten allmählich 
vollkommen aus dem Rechtssystem Belgiens ausgeschaltet worden ist. 
Descamps’ Werk zeigt deutlich, dass das nationale Leben und seine Bedürfnis- 
befriedigung allein die Richtungslinie auch in jenen Fragen abgab, die das alte 
„Europäische Konzert“ mit übergeordneter Macht und unter Ueberschätzung 
der Leistungskraft völkerrechtlicher Institutionen dem jungen Staatswesen 
aufzuzwingen sich befugt erachtet hat. Meminisse iuvat! Wer vermag 
noch den Spuren der ehemaligen europäischen Kontrolle zu folgen über die 
militärischen Verteidigungsmittel Belgiens, seiner Festungen etc., ohne die 
zahlreichen Akten und Verhandlungen so der Londoner Konferenz vom Jahre 
1851 ins Archiv vergilbten Materials zu schieben? Mit Recht sagt DEscamps 
zu dieser vielumstrittenen Frage: „La Belgique... a ainsi modifi& tout son 
systeme de defense sans consulter personne, conservant d’abord des forte- 
resses designees pour @tre demolies, puis en demolissant d’autres designees 
pour &tre conservees .. .“ Und genau derselbe Prozess innersten Wandels, 
man möchte sagen, juristischer Substanzveränderung vollzog sich unter der 
Einwirkung der völlig verschieden gearteten modernen Staatenbeziehungen 
in Ansehung der „garantierten obligatorischen Neutralität“ des belgischen 
Staates nach innen wie nach aussen. Was in den ersten Jahren des selb- 
ständigen staatlichen Bestandes Belgiens aus Gründen der juristischen Kautel 
dem jungen Gemeinwesen als völkerrechtliche Pflicht, als Zwangsbeschränkung 
seiner freien Autonomie auferlegt worden war, hat sich seither, wie dies 
auch Descamps in überzeugender Ausführung klarlegt, zu einem wesentlichen 
Bestandteil der nationalen Rechtsordnung Belgiens und seiner 
Gliedstellung in der internationalen Staatengesellschaft umgebildet. Es ent- 
spricht durchaus der herrschenden Lehre, wenn LaBanD iu seiner Studie über 
„Die Neutralitätserklärung der drei skandinavischen Reiche“ sagt, dass die 
Neutralisierung eines Staates in erster Reihe eine wesentliche Beschränkung, 
eine Entziehung des Kriegsrechts sei und dass damit notwendig eine Min- 
derung der völkerrechtlichen Handlungsfähigkeit verbunden sei.“ Des wich- 
tigsten Hilfsmittels selbständiger aggressiver Verteidigung seiner Rechts- 
ansprüche entkleidet, ist der neutralisierte Staat zur Durchsetzung seiner 
Interessen auf die im friedlichen Verkehr der Staaten gegebenen Mittel 
beschränkt ... Dieser Beschränkung entspricht aber anderseits ein erhöhter, 
besonderer Schutz, eine völkerrechtliche Sicherung sowohl gegen kriegerische 
Angriffe von seiten anderer Staaten, als auch gegen eine Verletzung ihrer 
Neutralität, falls andere Staaten gegeneinander Krieg führen seitens dieser 
oder eines von ihnen. Der völkerrechtlichen Wehrloserklärung entspricht 
die völkerrechtliche Befriedung dieser Staaten.“ Das ist, wie gesagt, in 
nuce die herrschende Lehre, es ist aber nicht überflüssig, die Frage aufzu- 
werfen, ob diese Lehren nicht die nötige Reife für eine gründliche Revision 
allmählich erlangt haben. Man wird sich dabei das rechtsgeschichtlich aus- 
schlaggebende Moment vor Augen halten müssen, dass die Gruppierung der
	        
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