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Drei weitere Abhandlungen greifen nicht unmittelbar in die Frage der
Handelsverträge ein. So schildert Francke (l. Bd.) in seiner sehr gehalt-
vollen Arbeit über die zollpolitischen Einigungsbestrebungen in Mittele‘.ropa
während des letzten Jahrzehnts und das Werden und — man darf es so
nennen — das Vergehen der Idee vom mitteleuropäischen Zollbund. Die
Kritik, die FRAncKE an die Einigungsbewegung anlegt, ist in ihrer Sachlich-
keit und Klarheit überzeugend; ich möchte noch einen Schritt weiter gehen
und selbst die Revision der Meistbegünstigungsklausel im Geiste einer mittel-
europäischen Interessensphäre mit einer Spitze gegen die Union bei der
durch und durch egoistischen Handelspolitik von Oesterreich-Ungarn vor-
läufig für eine Utopie betrachten. Vom englischen Imperialismus und seiner
voraussichtlichen Wirkung auf die grossbritannische Handelspolitik berichtet
in anziehender Weise der Londoner Nationalökonom Hzwins (2. Bd.). Er tritt
für einen „konstruktiven Imperialismus“, d. i. für eine imperialistische Politik,
welche die Kolonien nicht nur als Ausbeutungsobjekte betrachtet, sondern
auch ihnen wirtschaftliches Gedeihen und ihnen vom Mutterlande aus die
Vorteile einer grossen militärischen und maritimen Sicherheit gewährleistet.
Der konstruktive Imperialismus will im Gegensatz zur herrschenden Auf-
fassung von Imperium in England innere Reformen und Weltmachtspolitik
nicht ausschliessen, sondern beides miteinander vereinigen. Sicherlich eine
Ideenassoziation, welche mit der deutschen Politik zusammentrifft. Auf
Hewiıns folgt Kar RATaBeEn, der die englische Handelspolitik am Ende des
19. Jahrhunderts unter gründlicher Benützung der Handelsstatistik und der
englischen Fachliteratur bespricht. Das Verhältnis zu den Kolonien, der
Ausgangspunkt aller handelspolitischen Kontroversen in Grossbritannien, bil-
det den Kern der Rarasenschen Untersuchung, die schliesslich in dasselbe
Fahrwasser wie die Hewınsschen Darlegungen einmünden, nämlich in die
Empfehlung gründlicher Reformen in England.
Recht eigentlich in das Zentrum der handelspolitischen Kontroversen
führen schliesslich die Aufsätze von ConkAD, Dane und LoTz hinein, sie stellen
zugleich in ihrer Trinität die drei Hauptrichtungen der deutschen Handels-
politik dar: DaApe rechter Flügel, Lotz linker Flügel und Coxnrap Mittel-
partei, ohne dass selbstverständlich die Eigenarten der Tagespolitik auf diese
Männer der Wissenschaft angewandt werden können. Lotz legt in der
„Handelspolitik des Deutschen Reiches unter Graf Caprivi und Fürst Hohen-
lohe 1890—1900* (3. Bd.) die Nervenstränge der Wirtschaftspolitik des letzten
Jahrzehnts mit bekannter Sicherheit des Urteils und Schonungslosigkeit der
Dialektik bloss; er verteidigt die Caprivischen Handelsverträge in allen ihren
Bestandteilen, wobei er nur allzusehr das Politische gegenüber den wirt-
schaftlichen Tatsachen, die Caprivi nicht immer recht gegeben haben, in den
Vordergrund zu stellen scheint. Interessant sind die Aufzeichnungen der
geschichtlichen Vorgänge des Jahres 1891 mit dem Zurückgehen der Hoch-
agrarier von dem 5 Mk.-Getreidezoll; seine Betrachtungen über das Anschwellen