428 --
beiden Verfassungen angesehen hat. Die belgische Verfassung proklamiert
die Volkssouveränität und stellt an die Spitze der organisatorischen Bestim-
mungen den Satz: Tous les pouvoirs eEmanent de la nation. Die preussische
Verfassung beruht auf dem monarchischem Prinzip, ohne es für erforderlich
zu halten, dies ausdrücklich zu erklären. Da aber auch in Belgien das Volk
kein Organ des Staates ist, also staatliche Akte nicht vornehmen kann, und
auch in Belgien nichts ohne und nichts gegen den Willen des Königs Staats-
wille werden kann und der König nach beiden Verfassungen nicht durch
den Willensakt eines andern Staatsorgans, sondern ipso jure in seine Rechts-
stellung eintritt, so wird durch den Gegensatz von Volkssouveränität und
monarchischem Prinzip kein rechtlicher Unterschied bezeichnet. „Es sind
historisch-politische Doktrinen, deren Bedeutung sich erschöpft in der Kon-
statierung der Verschiedenheit der Entstehung der Staatsverfassungen und
der sich daraus ergebenden politischen Machtverhältnisse* (S. 49).
An diese allgemeinen Erörterungen schliessen sich Untersuchungen an,
inwieweit hinsichtlich einzelner verfassungsrechtlicher Materien die beiden
Verfassungen übereinstimmen oder voneinander abweichen. Hier treten
Unterschiede von grösster Wichtigkeit entgegen, besonders im Finanzrecht,
Militärrecht und Staatskirchenrecht.
Endlich möge hier noch auf die Einleitung der Schrift hingewiesen
werden, in welcher der Verf. die Gründe entwickelt, welche dazu geführt haben
mögen, der preussischen Verfassungsurkunde die belgische zu Grunde zu legen.
Zu den Vorzügen der Abhandlung gehört neben ihrem sehr interessanten,
auf eindringenden Studien beruhenden Inhalt auch die musterhafte Art der
Darstellung. Laband.
Dr. Hans Luther, Thronstreitigkeiten und Bundesrat. (Rechts- und
staatswissenschaftliche Studien, veröffentlicht von Dr. E. EBrRrıxs.
Heft 26.) Berlin 1904. 104 S.
Die Zuständigkeit des Bundesrats zur Entscheidung von Thronfolge-
und Regentschaftsstreitigkeiten, welche schon unendlich oft, namentlich in
den letzten Jahren, erörtert worden ist, wird in der vorliegenden Schrift
nochmals unter Berücksichtigung der gesamten Literatur behandelt. Dass sie
die in dieser Materie obwaltenden Meinungsverschiedenheiten zu einem de-
finitiven Austrag bringt, kann man ihr nicht nachrühmen; man muss aber
anerkennen, dass es dem Verf. an kritischem Scharfsinn nicht fehlt. Der
Verf. verneint, dass der Bundesrat aus Art. 76 Abs. 2 RV zuständig sei,
weil Thronstreitigkeiten nicht unter den Begriff der Verfassungsstreitigkeiten
im Sinne dieses Verfassungssatzes fallen, wenn sie nicht etwa Streitigkeiten
zwischen Regierung und Volksvertretung über die Auslegung geltender Ver-
fassungsbestimmungen sind. Dagegen erachtet er die Zuständigkeit des
Bundesrats durch Art. 76 Abs. 1 begründet, wenn die streitenden Präten-
denten Bundesglieder sind und der Streit „der äusseren Form nach“ eine