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Streitigkeit zwischen verschiedenen Bundesstaaten bezielientlich deren Regie-
rungen ist. Wenn man dies für richtig hält — und der Bundesrat hat sich
bekanntlich dieser Ansicht angeschlossen —, so bleibt doch die Frage nach
der Zuständigkeit des Bundesrats unerledigt, wenn der Streit zwischen An-
gehörigen derselben Dynastie oder Linie oder mediatisierter Häuser schwebt,
kurz in alleu Fällen, in denen nicht der Streit zwischen zwei Bundesstaaten
oder Bundesfürsten obwalte. Es kann also die Frage nicht umgangen
werden, ob nicht ohne Rücksicht auf Art. 76 die Zuständigkeit auf Grund
eines allgemeineren Rechtstitels begründet werden kann. Der Verf. verneint
nun, dass eine solche aus dem bundesstaatlichen Charakter des Reichs ge-
folgert werden könne; die vom Verf. dagegen vorgebrachten Einwendungen
sind zwar leicht zu widerlegen, doch will ich mich auf eine Antikritik hier
nicht einlassen, zumal der Verf. S. 100 doch selbst anerkennt, „dass infolge
des innigen staatlichen Zusammenlebens, zu dem die Staaten des Deutschen
Reiches durch die Reichsverfassung verbunden sind, die Lebensinteressen
jedes einzelnen Staates zu Interessen der Gesamtheit geworden sind“. Da-
gegen ist eine vom Verf. neu aufgestellte Theorie auf ihre Richtigkeit
zu prüfen. Der Verf. glaubt nämlich entdeckt zu haben, dass die Zuständig-
keit des Bundesrats durch Art. 19 RV begründet werde, nach welchem der
Bundesrat, wenn Bundesglieder ihre verfassungsmässigen Bundespflichten nicht
erfüllen, die Exekution gegen sie beschliessen kann. Zu diesem überraschen-
den Resultat gelangt der Verf. durch eine sehr gewundene Deduktion. Er
führt aus, dass jeder Staat den andern Staaten gegenüber verpflichtet sei,
seine Stimme im Bundesrat auszuüben, weil das Stimmgewicht der Staaten
verschieden sei und der Wegfall einer Stimme daher das Stimmgewicht aller
übrigen in verschiedenem Masse verändere. Wenn z. B. die Stimme von
Reuss j. L. wegfalle, so verstärke sich das Stimmgewicht von Preussen
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um 58 x 57 dagegen das von Reuss ä. I. nur um PrWY TE Der Weg-
fall einer Bundesratsstimme bedeutet also nicht nur den Verzicht des diese
Stimme führenden Staates auf sein eigenes Stimmgewicht, sondern gleichzeitig
eine verhältnismässige Schädigung der Staaten mit ger'ngerem gegenüber
denen mit grösserem Stimmgewicht. Wenn nun jeder Bundesstaat ein recht-
liches Interesse daran hat, dass jeder andere von seinem Stimmrecht im
Bundesrat Gebrauch macht, so verletze der Staat, der dieses unterlässt, eine
„Bundespflicht“ und hat dieserhalb Bundesexekution zu gewärtigen. Die
Reichsverfassung bestimmt nun zwar ausdrücklich, dass nicht vertretene oder
nicht instruierte Stimmen nicht gezählt werden, stellt also fest, welche Rechts-
fuülgen an die Nichtabstimmung eines Staates geknüpft sind; aber — meint
der Verf. — dass Stimmen nicht vertreten oder nicht instruiert sind, setze
selbstverständlich voraus, dass sie vertreten oder instruiert sein können
und folglich „haben die einzelnen Staaten des Deutschen Reichs gegen-
einander einen Anspruch, dass sich jeder einzelne in einer rechtlichen und