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Stammes mit Berufung an Eingeborenenschiedsgerichte oder an den
(ouverneur (Bezirksamtmann, Stationschef) eingeräumt ist, kann
diese Einrichtung beibehalten werden, Straftaten gegen die$$30 —34,
54—72 dieser Verordnung bleiben jedoch ihrer Zuständigkeit
entzogen.
Das Bestehen solcher Gerichte bedarf der Genehmigung des
Reichskanzlers.
Desgleichen verbleibt es bei der auf Grund von Schutz-
verträgen mit Häuptlingen den letzteren zugesicherten Gerichts-
barkeit und bei den nach Massgabe solcher Verträge gebildeten
gemischten Gerichten, welche in Straffällen, bei denen Weisse
Beteiligte sind, zu entscheiden haben,
Dieser Paragraph lehnt sich fast wörtlich an den Entwurf des Kolonial-
rates Art. 17 an. Die Ueberlassung der Strafrechtspflege in beschränktem
Umfang an die eingeborenen Häuptlinge bedeutet eine nicht zu unterschätzende
Entlastung der Bezirksamtmänner, überdies ist es vielfach durch die tat-
sächlichen Machtverhältnisse geboten, die den Häuptlingen in den Schutz-
verträgen gewährleisteten Hoheitsrechte nicht ohne Not einzuschränken. Ich
verweise hier insbesondere auf die Aeusserungen des Gouverneurs von Süd-
westafrika an das Auswärtige Amt vom 6. Juni 1899, wo es wörtlich heisst:
„Abgesehen von der politischen Unklugheit würden wir auch soust
einen grossen Fehler begehen, wenn wir die Eingeborenengerichtsbarkeit
jetzt schon radikal beseitigen wollten. Einerseits würden wir unsere Be-
amten mit einer Menge Bagatellsachen belasten, anderseits aber auch
manches Gute, das mit der in Frage stehenden Gerichtsbarkeit verbunden
ist, beseitigen. .. . Dass schliesslich die eingeborenen Kapitäne in Bezug
auf die Prügelstrafe nicht den diesseitigen Beschränkungen unterworfen
sind, wird kein Kolonialbeamter für eine Unzuträglichkeit halten.“
Allerdings lassen sich gegen die Belassung der Rechtsprechung bei den
eingeborenen Häuptlingen auch gewichtige Bedenken nicht unterdrücken. So
kann den diesbezüglichen Ausführungen des kolonialen Mitarbeiters der Köl-
nischen Zeitung (Rechtspflege über die Eingeborenen der deutschen Schutz-
gebiete 1904 No. 499) nur beigepflichtet werden. Es heisst dort: „Eine
ganz unrichtige Art des Vorgehens — das hat sich jetzt in Deutsch-Südwest-
afrika zur Genüge bewiesen — ist es, in Gebieten, wo man überhaupt schon
die Möglichkeit einer weitergehenden Machtausübung hat, die Eingeborenen-
rechtsprechung den Häuptlingen, Kapitänen usw. zu überlassen. Man gibt
dadurch einen Einfluss, den die Verwaltung selbst gewinnen könnte, in die
Hände von meist sehr zweifelhaften, des kategorischen Rechtsgefühls baren,