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tingentsheer ist‘”, oder ob es eine innere Einheit, eine reine
Reichsanstalt ist und unter der Militärhoheit des Kaisers steht“,
Es ist nicht zu verkennen, dass die erste, meines Erachtens
richtige Ansicht trefflich zu der vorgetragenen Auffassung passt,
dass nicht der Kaiser, sondern die Kontingentsherren Träger
der Militärstrafgewalt seien. Aber diese Annahme würde auch
dann nicht ausgeschlossen sein, wenn man das deutsche Heer
für ein einheitliches Reichsheer erklärt. Denn auch die Ver-
treter dieser Meinung können nicht leugnen, dass den Kon-
tingentsherren nach positivem Recht eine Reihe von Befugnissen,
wie z. B. die Ernennung der Offiziere ihres Kontingents, zu
eigenem Rechte, ohne aus der kaiserlichen Kompetenz abgeleitet
zu sein, zusteht. Und es bliebe daher immer noch zu prüfen,
ob nach der Militärstrafgerichtsordnung die Militärstrafgewalt
den Kontingentsherren oder dem Kaiser zugewiesen sei. Die
Eintscheidung der Frage, ob das deutsche Heer ein einheitliches
Reichs- oder ein Kontingentsheer sei, fördert daher nicht die
Untersuchung der Frage, welche Stellung der Kaiser und die
Kontingentsherren gegenüber den Gerichtsherren einnehmen.
Die geschilderte, auf den Bestimmungen der Reichsverfassung
beruhende Rechtslage ist in vielen deutschen Staaten durch die
mit Preussen abgeschlossenen Militärkonventionen zu Gunsten
Preussens sehr wesentlich geändert worden. Eine besondere
Stellung nehmen die Königreiche Bayern und Württemberg ein.
Für sie haben die Vorschriften der Reichsverfassung überhaupt
#3 So ferner Lasanp, Staatsrecht Bd. IV S.5ff.; im Archiv für Öffent-
liches Recht Bd. III S. 491ff.; Gümsen in Hirths Annalen 1899, S. 131;
SEYDEL, Kommentar zur Reichsverfassung, 2. Aufl. 1897, S. 310; Hecker in
von Stengels Handwörterbuch „Fahneneid“.
“4 BoRNHAK, Preussisches Staatsrecht Bd. III S. 35; G. Meyar, Lehr-
buch des deutschen Verwaltungsrechts Bd. II S. 37; Zorn, Das Staatsrecht
des Deutschen Reichs Bd. I S. 307f.; Schutze, Lehrbuch des deutschen
Staatsrechts Bd. II S. 253 f.; Preussisches Staatsrecht Bd. II S. 610; Häneı,
Lehrbuch des deutschen Staatsrechts Bd. V S. 551; Brocknaus a. a. O. S. 215.