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a priori. Die Vertreter der deutschen Wissenschaft vom Staate sind ihm
vor allem GIerKE und JELLINEK mit der „theorie de l’organieisme“ (S. 11);
diese nennt er schlechthin „la theorie allemande“ (S. 11). In Deutschland
wird das ja nicht so ohne weiteres anerkannt werden. Aber wir dürfen
doch bei dieser Gelegenheit feststellen, dass in der Tat diese ganze mystische
ÖOrganlehre bei den Franzosen viel Anklang gefunden hat. Nicht dass sie sie
billigten, keineswegs. Sie verwerfen sie im Gegenteil als Metaphysik. Aber
sie finden es sehr richtig und einleuchtend, dass wir so seien, und akzeptieren
gern den Typus, um ihm den eigenen, gesunden Realismus entgegen zu
setzen. Es liessen sich verschiedene Betrachtungen daran anknüpfen.
Das Buch ist eingeteilt in fünf Kapitel, welche nacheinander behandeln:
den Begriff des Staates, die Träger der Staatsgewalt und die öffentlichen
Aemter, Tätigkeitsformen derselben, Rechtsordnung dafür, Trennung von
Justiz und Verwaltung.
In den beiden letzten Kapiteln liegt sowohl nach ihrem äusseren Um-
fang als auch nach der Bedeutung ihres Inhaltes der Schwerpunkt des Buches.
Verf. beklagt sich, wie gesagt, in der Einleitung über eine gewisse Stay-
nation, welche über die Wissenschaft des öffentlichen Rechtes gekommen
war und den darin herrschend gewordenen Geist der Routine Man wird
ihm die Anerkennung nicht versagen können, dass in seinen Ausführungen
von diesen Dingen auch keine Spur mehr zu finden ist. Sie sind vielmehr
getragen von einem kräftigen Zug freien kritischen Sinnes. Die zahlreichen
Noten bergen eine Fülle wertvollen Materials und scharfsinniger Einzel-
bemerkungen.
Bei der Aufstellung der wissenschaftlichen Grundbegriffe, von welchen
er ausgeht, steht Verf. stark unter dem Einfluss des Werkes von LEon
Dusuıt, welches LaBann in Band XVIII dieser Zeitschrift besprochen hat.
Verf. wahrt dazwischen wohl auch einmal einen eigenen Standpunkt, aber im
wesentlichen gibt er doch nur die Ideen von Dvavır wieder. Wer sich
über diese kurz orientieren will, hat hier eine treffliche Gelegenheit. Es
ist ja nicht jedermanns Sache, sich durch die dickleibigen Bände dieses
Gelehrten selbst durchzuschlagen, um sich sagen zu lassen, dass der sog.
Staat und seine juristische Persönlichkeit wie seine Souveränität eitel Spuk
und Gespenster sind und dass alle Not und Unklarheit nur dadurch zu be-
seitigen ist, dass man der Sache den Namen solidarite sociale gibt. Es ist
aber keine unbekannte Erscheinung, dass ganz verfehlte Hirngespinste, mit
einem gewissen Schwung und Eifer vorgetragen, anregend und fördernd auf
die wissenschaftliche Arbeit der andern wirken. So war ja das bei uns mit
L. von Stein der Fall. Das vorliegende Buch scheint ein neuer Beleg dafür
zu Sein.
Leipzig. Otto Mayer.