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in ihrem Wortlaut, teils inhaltlich abgeändert worden ist. Denn dass nach
Art. 78 Staaten, welche zusammen 14 Stimmen im Bundesrat haben, ein
Veto gegen ein die Verfassung abänderndes Gesetz ausüben können, ist ein
Internum der Beschlussfassung des Bundesrats und keine Abänderung des
Gesetzgebungsweges, zumal die Abstimmungsverhältnisse im Bundesrat in
der Verkündigung des Gesetzes nicht offenbart werden. Der Verf. bezeich-
net eine auf dem einfachen Gesetzgebungswege abänderliche Verfassung als
eine „sogenannte“ Verfassung, worin sich die Willkürlichkeit seiner Begriffs-
bestimmung implicite ausspricht. Der Verfassung im formellen Sinne stellt
er die Verfassung im materiellen Sinne gegenüber. Darunter versteht er
aber nicht die Gesamtheit der Rechtssätze, welche die Organisation eines
Staates, den Inhalt und die Grenzen der Staatsgewalt, die Art ihrer Betä-
tigung u. dgl. betreffen, sondern „diejenigen Vorschriften, welche logischer-
weise dem (esetze und dem Gesetzgebungsrecht vorausgehen müssen“ und
zwar sollen dies „diejenigen Rechtssätze sein, welche das Gesetzgebungsrecht
selber bestimmen“. Der Gesetzgeber könne sich nicht selber durch (Gesetz
schaffen und es sei „nicht denkbar“, dass die gesetzgebende Behörde sich
selber die Grundlage ihrer rechtlichen Existenz unter die Füsse gebe; es
sei daher ausgeschlossen, dass die gesetzgebende Behörde sich selber durch
Gesetz die Kompetenz zulege, Gesetze zu machen. Aber nicht nur die
Norm, welche einer bestimmten Behörde die Gesetzgebungsgewalt gibt, son-
dern alle die Normen, welche die Organisation der gesetzgebenden Behörde,
ihre gesetzgebende Funktion und die materiellen oder formellen Befugnisse
ordnen, gehen dem Gesetzgebungsrecht logisch voran (S. 3). Der Verf.
gesteht nun zwar zu, dass das positive Verfassungsrecht damit nicht überall
übereinstimmt, aber der Gesetzgeber sei ja nicht an die Regeln der Logik
gebunden, eine gegebene Rechtsordnung sei also nicht notwendig von logi-
schen Widersprüchen frei; dagegen sei in der Konstruktion der einmal auf-
gestellten Rechtssätze der Jurist frei und nur der Autorität des Verstandes
unterworfen. Dies ist sehr richtig; nec Caesar supra Grammaticos; fraglich
ist nur, ob denn das vom Verf. aufgestellte Prinzip den Anforderungen der
Logik entspricht. Denn so gut er die Frage aufwirft, woher der Gesetz-
geber seine Befugnis zur Gesetzgebung nimmt, ebensogut kann man die
Frage aufwerfen, woher die Verfassung die Macht hat, dem Gesetzgeber
diese Befugnis zu verleihen, zu beschränken, die Art ilırer Ausübung zu be-
stimmen. Der Verf. sagt, „der Staat, wie er ist, in seiner konkreten Aus-
gestaltung, ist das Geschöpf der Verfassung“. Wer aber ist der Schöpfer
der Verfassung? Wer gibt ihr die Kraft, den Staat zu erschaffen? Da sie,
wie der Verf. angibt, „Vorschriften“ enthält, so muss ein Subjekt gedacht
werden, welches Macht und Willen hat, etwas vorzuschreiben, d. h. zu be-
fehlen. Die Verfassung kann sich diese Macht „logisch“ ebensowenig selbst
verleihen wie der Gesetzgeber die seinige. Man sieht, dass der Verf. das
Problem der Priorität des Staates und der Verfassung beiseite schiebt und