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liche Eigenschaft des Staates; dadurch unterscheide er sich von den Kom-
munalverbänden, die vom Staat abhängig seien“ (S. 21). S. 64 aber ist
zu lesen, dass die Kantone in einem gewissen Bereich ihrer Tätigkeit „grund-
sätzlich souverän geblieben in Gesetzgebung und Verwaltung, aber in der
Betätigung ihrer Souveränität beschränkt sind durch Grundsätze des
Bundesrechts“. Wo bleibt da das Merkmal der „höchsten“ Herrschafts-
kompetenz, wenn diese von einer über ihr stehenden beschränkt wird? Den
Gegensatz zwischen Staat und Gemeinde findet der Verf. S. 23 darin,
„dass der Staat nur sich selbst verantwortlich ist, und dass er fähig ist,
sich selber zu leiten und in diesem Sinne selbst genügsam ist. Die Ge-
meinde dagegen genüge sich nicht allein und auf allen Gebieten ihrer Tätig-
keit sei dem Staat die Möglichkeit gewahrt, durch irgend ein Mittel einzu-
greifen und Missbräuchen zu steuern“, Die Vorstellung einer Verantwort-
lichkeit gegen sich selbst ist keine Rechtsvorstellung, sondern eine ganz in-
haltlose Redensart; verantwortlich kann man nur gegen einen andern sein,
der berechtigt ist, eine Antwort zu verlangen; der Gemeinde gegenüber ist
aber der Staat nicht darauf beschränkt, „Missbräuchen zu steuern“, sondern
er gibt ihr ihre Organisation, ihre Rechte, Pflichten, Aufgaben und regelt
und beaufsichtigt ihre gesamte Tätigkeit. In einem ähnlichen Verhältnis
stehen aber die Kantone zum Bund (und die Einzelstaaten zum Reich),
dessen Gesetzgebung den unbedingten Vorrang vor den kantonalen Gesetzen
hat, der ihnen durch diese Gesetzgebung Aufgaben, Pflichten und Rechte
zuteilt und die Erfüllung der in der Bundesverfassung und der Bundesgesetz-
gebung begründeten Pflichten kontrolliert. Den Gegensatz zwischen Bundes-
staat und Staatenbund charakterisiert der Verf. S. 28 dahin, dass die Mit-
glieder des Staatenbundes das Austrittsrecht haben, den Gliedern des Bundes-
staates dagegen dieses Recht nicht zusteht. S. 54 aber lehrt der
Verf., dass wenn ein Kanton sich von der Eidgenossenschaft lossagen wollte,
so könnte er wohl einer Verletzung der Bundesverfassung, nicht aber einer
Rechtsverletzung überführt werden, da er ja eben derjenigen Rechtsordnung,
die seine Pflicht statuiert, die rechtliche Gültigkeit absprechen würde! Wenn
der Verf. S. 27 behauptet, dass Gesetze in einem Staatenbund äusserlich
nicht zu unterscheiden sind von (fesetzen einer wirklichen zentralen Staats-
gewalt, so übersieht er, dass die Verkündigung der Gesetze im Staatenbund
von den Bundesgliedern, im Bundesstaat von der Zentralgewalt ausgeht.
Was endlich die verfassungsmässig garantierten Individualrechte (Frei-
heitsrechte, Grundrechte) anlangt, so kommt der Verf. nach einer längeren
Erörterung zu dem Schluss, dass aus dem materiellen Rechtsverhältnis zwi-
schen Staat und Individuum sich kein Unterschied zwischen der sog. Reflex-
wirkung des objektiven Rechts und dem angeblichen subjektiven Recht des.
Individuums gegenüber dem Staate erweisen lasse, vielmehr gebe es in Be-
zug auf die Ausübung der Öffentlichen Gewalt überhaupt keine subjektiven
Rechte des einzelnen gegenüber dem Staate und Pflichten des Staates gegen-