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über dem einzelnen, sondern nur absolute Pflichten des Staates. Dessen-
ungeachtet habe es einen guten und praktisch wichtigen Sinn, zwischen sub-
jektiven öffentlichen Rechten und blossen Reflexwirkungen des öffentlichen
Rechts zu unterscheiden; die ersteren seien dann gegeben, wenn sie pro-
zessualisch geltend gemacht werden können. Der begriffliche Gegensatz soll
also lediglich durch diese äusserliche Zutat, die Art der Geltendmachung
und des Schutzes gegeben sein. Der Verf. übersieht hierbei, dass es im
Staat auch Spruchbehörden geben kann, welche lediglich die Auslegung ob-
jektiver Rechtsregeln zur Aufgabe haben. In einem Staat entscheiden z. B.
bisher über die Anwendung des Zolltarifs die Zollverwaltungsbehörden; es gibt
also kein subjektives Recht des einzelnen auf die richtige Erhebung des
Zolles; jetzt wird ein Tarifamt eingerichtet; der einzelne kann gegen die
Entscheidung der Verwaltungsbehörde an dieses Amt sich mit einem Rechts-
mittel wenden; flugs entsteht für ihn das subjektive Recht, den Zoll nach
der richtigen Tarifnummer zu zahlen, während dies bisher nur eine Reflex-
wirkung war. Das Wahlrecht ist eine Reflexwirkung des öffentlichen Rechts
in den Staaten, in welchen es kein Gericht gibt, welches zu entscheiden hat,
ob im einzelnen Falle die Voraussetzungen des Wahlrechts usw. gegeben
sind; wird eine Behörde eingesetzt, welche auf Antrag eines Interessenten
darüber ein Verdikt abzugeben hat, so verwandeln sich die Reflexwirkungen
in subjektive Rechte. Die Gemeinden haben subjektive Rechte gegen den
Staat, denn sie können vor den Verwaltungsgerichten klagen; die deutschen
Einzelstaaten aber haben keine subjektiven Öffentlichen Rechte gegen das
Reich, denn es gibt kein Gericht, bei welchem sie sie geltend machen
können! Der Monarch und der thronfolgeberechtigte Agnat hat kein sub-
jektives Recht auf den Thron, denn er kann es vor keinem Gericht ein-
klagen; wohl aber der Kommunalbeamte, dem eine Klage vor dem Ver-
waltungsgericht gewährt ist, wenn ihm sein Amt widerrechtlich entzogen
wird. Ich glaube nicht, dass diese Unterscheidung ein befriedigendes Re-
sultat gibt.
Ich habe im vorstehenden mich auf die wichtigsten Punkte beschränkt,
in denen ich die Ansichten des Verf. für unrichtig halte; ein Eingehen auf
alle Einzelheiten, in denen ich anderer Meinung bin, würde die Grenzen
einer Besprechung überschreiten. Laband.
Alfredo Bartolomei, Prof. nell’ Universita di Perugia, Diritto pubblico
e teoria della conoscenza. (Annali dell’ Universitä di Perugia.
Nuova Serie Vol. I. Fasc. 2—3. Anno 1903.) 56 pag.
Einer der scharfsinnigsten italienischen Staatsrechtslehrer gibt in
dieser Abhandlung einen Beitrag zur juristischen Erkenntnislehre oder
Methodologie in Anwendung auf das Staatsrecht. Er behandelt den Gegen-
satz der soziologischen und der juristischen Methode. Nachdem