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höheren Verbandsperson ist. Das eben ist die viel angefeindete
„Durchdringung der Einheit durch die Vielheit“, das Grund-
princip organischer Anschauung, ohne welche alles Recht im
Individualrecht stecken bleibt.
„Indem der Mensch von Hause aus sein Dasein zugleich als
Einzelleben und als Gemeinleben führt und empfindet, vermag
er seinen Willen zu spalten und dem Bereich des Fürsichseins der
Einzelwillen ein Gebiet ihrer Verbundenheit zum Gemeinwillen
gegenüber zu stellen. So producirt er gesellschaftliche Körper,
die ein den Individualwillen der Glieder gegenüber selbständiger
Wille des Ganzen durchherrscht und zu einheitlichem Leben
befähigt 78).“ — Diese Verbandspersonen sind also aus Vielheiten
sich organisch zusammensetzende Einheiten. In einer gewissen
Richtung kommen dieselben nur als Einheiten in Betracht; näm-
lich nach aussen, in den Yerhältnissen, für welche die innere
Gestaltung und Natur gleichgiltig ist. Wie bei den physischen
Gebilden, sofern man sie nur äusserlich als unverbunden neben
einander stehend betrachtet, kein Unterschied ist zwischen dem
einzelligen Lebewesen und dem complicirtesten Organismus, so
erscheinen nach aussen für das unorganische Nebeneinander alle
Rechtssubjekte als gleichartige Personen. Im Gebiete des Rechts
entspricht diese Betrachtungsweise den wirthschaftlichen
Beziehungen der Menschen d. h. dem Privat- oder enger und
richtiger dem Individualrecht??).
Wie aber die Naturlehre, wenn sie das innere Wesen der
Organismen zu erkennen sucht, nicht nur ihre Einheit, sondern
vor allem die Art ihrer Zusammensetzung und Gliederung aus
der Vielheit der organischen Theile betrachtet, so muss die Juris-
78) GIERKE, Genossenschaftstheorie, S. 24, 25; vgl. auch Bäur, Rechts-
staat S. 28 und 31.
2) Privat- und Individualrecht decken sich nicht; ersteres umschliesst
nach den herkömmlichen Systemen auch Provinzen des Sozialrechts: Familie,
Juristische Personen.