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Es ist unmöglich an dieser Stelle ein Werk von so reichem und viel-
seitigem Inhalt in seinen Einzelheiten zu besprechen, es sollen hier ledig-
lich einige Punkte von allgemeiner Bedeutung herausgegriffen werden.
Was zunächst die Systematik betrifft, so hat der Verfasser eine rein mate-
rielle Anordnung des Stoffes gewählt, also sowohl die zivilistische Einteilung
als auch die althergebrachte von Friedens- und Kriegsrecht abgelehnt. Der
Stoff gruppiert sich folgendermassen: allgemeime Lehren (einschliesslich
der Geschichte und Literatur), Subjekte, deren Organe, Verkehr, Gebiet, Indivi-
duen, Regelung gemeinsamer Interessen, Streitigkeiten. Wenn gegen einesolche
zweifellos übersichtliche und praktische Anordnung ein Einwand zu erheben
ist, so ist es der, dass dabei der tiefgreifende Unterschied zwischen Kriegs-
und Friedensrecht nicht oder wenigstens nicht genügend hervortritt. Das
Kriegsrecht ist nicht nur formelles, sondern auch materielles Recht, im
Gegensatz zum Prozessrecht (nicht-kriegerische Streitbehandlung) und be-
ruht überdies auf wesentlich andern Grundlagen als das Friedensrecht.
In der Behandlung der allgemeinen Grundlagen des Völkerrechts hält
sich der Verfasser in gleicher Weise von dem Extrem der einseitigen Be-
tonung der staatlichen Souveränität wie demjenigen der ausschliesslichen
Hervorhebung der Solidarität und der internationalen Gemeinschaft fern.
Beide Prinzipien, das individuelle und das soziale, bedingen sich vielmehr
gegenseitig, nur durch ihren harmonischen Ausgleich kann eine Ordnung
geschaffen werden, in welcher der nationale Staat, ohne in einem inter-
nationalen Ganzen aufzugehen, die höchste Entwicklungsstufe erreichen
kann, die zu erreichen ihm in der Isolierung nicht möglich wäre. Damit
ist wohl für alles Weitere der richtige Ausgangspunkt gewonnen. In einer
Richtung allerdings möchten wir den Begriff der Gemeinschaft noch etwas
präzisieren und ihn nicht als einheitliches Ganzes in Gegensatz zur natio-
nalen Souveränität stellen. Es scheint uns, dass wie fast alle Autoren
so auch v. Ullmann die völkerrechtliche Gemeinschaft zu sehr im Sinne
einer, wenn auch überaus lockeren, organischen rechtsbildenden Einheit auf-
fasst. Unleugbar ist die Herausbildung einer solchen internationalen Rechts-
gemeinschaft die Entwicklungstendenz des Völkerrechts, aber das wirklich
gemeinsame positive Recht und die Möglichkeit seiner Ausdehnung sind
heute doch noch sehr beschränkt. Die gegenwärtige Gemeinschaft zwischen
Staaten ist weniger eine soziale, organische, als einemehr mechanische, auf
dem Nebeneinandersein beruhende. Die internationalen Verhältnisse finden
ihre Regelung weniger durch autonome oder aus dem Gemeinschaftsprinzip
fliessende Satzung als durch vertragliche Konzessionen, die zwei oder mehr
Staaten sich gegenseitig machen über das von der Völkergemeinschaft posi-
tiv Geforderte hinaus. Die partikuläre Satzung ist der Rechtsstoff, der das
internationale Leben tatsächlich zum grössten Teil erfüllt; diese ist nun aber
nicht bloss ein Derivat des allgemeinen Rechts, sondern das letztere ist
vielmehr, wie die geschichtliche Entwicklung zeigt, ein aus dem partiku-