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rechtlichen Können liege nämlich niemals zugleich die Fähigkeit, sich selbst
der Existenz zu berauben, sich selbst als rechtliche Fähigkeit zu eliminieren.
Einem rechtlich zugestandenem Dürfen vermöge wohl der Privatwille ein
Verbot zu setzen, einen Riegel vorzuschieben durch Uebernahme der Rechts-
pflicht, von dem Dürfen keinen Gebrauch machen zu wollen; das rechtliche
Können vermöge der Privatwille auch eigener Macht nicht in ein Nicht-
können zu verwandeln. Vielleicht wird der Gedanke des Verfassers deut-
licher ausgedrückt, wenn wir nicht das „Dürfen“ und das „Können“, son-
dern das „Haben“ und das „Sein“ einander gegenüberstellen. Man kann
ohne weiteres auf das verzichten, was man hat, aber nicht auf das, was
man ist — scheint der Verfasser zu meinen. Dass jemand sein Bigentum
derelinquieren, eine Erbschaft ausschlagen, eine Forderung verlassen kann,
versteht sich im Sinne des Verfassers von selbst, wenn aber jemand auf-
hören will, Abgeordneter, Gemeinderat oder dgl. zu sein, so soll er einen
besonderen Rechtssatz dazu brauchen. Aber wird hier nicht ein unleug-
barer Gegensatz künstlich auf die Spitze getrieben? Wenn in einem Zivil-
gesetzbuch z. B. der Verzicht auf das Eigentum in der Form der Dereliktion
durch ein Versehen nicht ausdrücklich erwähnt wäre, würde dann der Fall
nicht gerade so liegen, wie bei der Mandatsniederlegung der deutschen
Reichstagsabgeordneten ? Hier wie dort kann und muss der auf Anerkennung
des Verzichtes gerichtete Wille des Gesetzgebers durch Interpretation und
auf rechtsgeschichtlichem und rechtsvergleichendem Wege erschlossen wer-
den. Dabei soll gar nicht geleugnet werden, dass die Stilreinheit des öffent-
lichen Rechtes besser gewahrt ist, wenn, wie dies vereinzelt vorkommt, das
Abgeordnetenmandat entweder überhaupt nicht oder nur aus gewissen,
taxativ aufgezählten Exkusationsgründen niedergelegt werden kann. Ich
möchte also die Frage, die das Hauptthema der Schrift bildet, folgender-
massen beantworten: Wer ein subjektives Recht gleichviel welcher
Art hat, der hat deshalb allein noch nicht die Befugnis, über dieses Recht
zu disponieren. Wie die Uebertragbarkeit, so muss auch die Verzichtbar-
keit im objektiven Rechte begründet sein. Neben der Rechtsnorm, auf
welcher das subjektive Recht selbst beruht, bedarf es daher noch einer
besonderen Rechtsnorm, welche dessen Verzichtbarkeit ausspricht. Diese
besondere Rechtsnorm braucht aber weder im Öffentlichen noch im Privat-
recht ausdrücklich statuiert zu sein; es genügt, wenn ihre Existenz mit
den gewöhnlichen Mitteln der Rechtsforschung zu erweisen ist.
E. Radnitzky.
VeröffentlichungenderKommission fürneuere Geschichte
Oesterreichs 8. — Oesterreichische Staatsverträge. England.
Bearbeitet von Alfred Francis Pribram. Erster Band 1526—1748.
Innsbruck. Verlag der Wagner'schen Universitäts-Buchhandlung 1907
S. XIV und 813.
Archiv für öffentliches Recht. XXIV. 2. 292