Das kann ich aber nur mit wesentlichen Einschränkungen gelten
lassen.
Das Resultat der Darstellung von Lucas ist, dass die am
'Ausgange des 18. Jahrhunderts übliche Verpflichtung des Rich-
ters bei dem Monarchen , bei der gesetzgebenden Instanz oder
einem Ausschuss derselben (bei einer Gesetzkommission) — Lucas
verwendet hier den Ausdruck refere legislatif — über den Sinn
einer zweifelhaften Gesetzstelle anzufragen, durch das Naturrecht
„vollständig“ aufgehoben worden sei. Er führt seine These, ins-
besondere im Hinblick auf den refere legislatif in Frankreich,
die Gesetz-Kommission in Preussen , die Instanz des Landes-
fürsten („nach Hof anzeigen“) in Oesterreich durch. Bei nähe-
rem Zusehen ergibt sich aber folgendes Bild:
1. Ob der obligatorische refere legislatif durch das Gesetz
vom 27. Ventöse des Jahres VIII abgeschafft worden sei, wie
Lucas annimmt, ist sehr zweifelhaft. MERLIN, ein Zeitgenosse,
ist der gegenteiligen Anschauung und behauptet die Fortdauer
des obligatorischen refere legislatif bis 1807”. Aber selbst wenn
dieses der Fall nicht wäre, so ist doch niemand in Frankreich
der Ansicht, die Lucas hat, dass der Art. 4 des Code Na-
pol&on den refere legislatif beseitigt hätte®.
Schliesslich wurde 1807 durch das Gesetz vom 8. September
die Pflicht zur Anfrage bei der gesetzgebenden Körperschaft durch
die Pflicht zur Anfrage beim Kaiser im Staatsrat ersetzt. Lucas
weiss dieses sehr wohl. Er meint aber (S. 418 Anm. 3), dies
sel im Hinblick auf die legislatorische Tat des Art. 4 „irrele-
vant“. Mit Erlaub geht aber daraus doch hervor, dass die „Na-
turrechtsbewegung“ , der der Art. 4 nach Lucas sein Dasein
verdanken sollte, jedenfalls nicht mächtig genug war, um den
” Siehe BARTHELEMY in Revue du droit public 1908 page 470.
® Kgl. den oben angef. Aufsatz von BARTHELEMY in der Revue du droit
public. Vgl. die Verh. von 1807 im Corps legislatif, Archives parlemen-
taires II serie vol. 9, pag. 687 ff.