Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 24 (24)

Das kann ich aber nur mit wesentlichen Einschränkungen gelten 
lassen. 
Das Resultat der Darstellung von Lucas ist, dass die am 
'Ausgange des 18. Jahrhunderts übliche Verpflichtung des Rich- 
ters bei dem Monarchen , bei der gesetzgebenden Instanz oder 
einem Ausschuss derselben (bei einer Gesetzkommission) — Lucas 
verwendet hier den Ausdruck refere legislatif — über den Sinn 
einer zweifelhaften Gesetzstelle anzufragen, durch das Naturrecht 
„vollständig“ aufgehoben worden sei. Er führt seine These, ins- 
besondere im Hinblick auf den refere legislatif in Frankreich, 
die Gesetz-Kommission in Preussen , die Instanz des Landes- 
fürsten („nach Hof anzeigen“) in Oesterreich durch. Bei nähe- 
rem Zusehen ergibt sich aber folgendes Bild: 
1. Ob der obligatorische refere legislatif durch das Gesetz 
vom 27. Ventöse des Jahres VIII abgeschafft worden sei, wie 
Lucas annimmt, ist sehr zweifelhaft. MERLIN, ein Zeitgenosse, 
ist der gegenteiligen Anschauung und behauptet die Fortdauer 
des obligatorischen refere legislatif bis 1807”. Aber selbst wenn 
dieses der Fall nicht wäre, so ist doch niemand in Frankreich 
der Ansicht, die Lucas hat, dass der Art. 4 des Code Na- 
pol&on den refere legislatif beseitigt hätte®. 
Schliesslich wurde 1807 durch das Gesetz vom 8. September 
die Pflicht zur Anfrage bei der gesetzgebenden Körperschaft durch 
die Pflicht zur Anfrage beim Kaiser im Staatsrat ersetzt. Lucas 
weiss dieses sehr wohl. Er meint aber (S. 418 Anm. 3), dies 
sel im Hinblick auf die legislatorische Tat des Art. 4 „irrele- 
vant“. Mit Erlaub geht aber daraus doch hervor, dass die „Na- 
turrechtsbewegung“ , der der Art. 4 nach Lucas sein Dasein 
verdanken sollte, jedenfalls nicht mächtig genug war, um den 
  
” Siehe BARTHELEMY in Revue du droit public 1908 page 470. 
® Kgl. den oben angef. Aufsatz von BARTHELEMY in der Revue du droit 
public. Vgl. die Verh. von 1807 im Corps legislatif, Archives parlemen- 
taires II serie vol. 9, pag. 687 ff.
	        
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