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die staatsrechtliche Stellung Finnlands sicherlich nicht aufge-
geben hat, ist in einer derartigen Aeusserung eine eklatante —
und zweifellos durchaus übertriebene — Anerkennung der Ueber-
legenheit der Politik über das Recht zu erblicken. Zu leicht
lässt man im öffentlich-rechtlichen Leben die „Verjährung eines
begangenen Unrechts“ eintreten!
Derartige unbegründete, auf oberflächlicher Beurteilung so-
wie auf einer allzu scharfen Trennung der verschiedenen Rechts-
gebiete beruhende Aeusserungen könnennoch umso weniger Berech-
tigung beanspruchen, da Finnland kein völkerrechtliches Subjekt
ist und seine rechtliche Stellung also ausschliesslich vom staats-
rechtlichen Gesichtspunkt aus und somit einheitlich zu beurteilen
ist. Es ist nämlich denkbar, obgleich es keine sehr erfreuliche
Tatsache ist, dass ein gewisses Rechtsverhältnis in völkerrecht-
licher Hinsicht anders zu beurteilen ist als in staatsrechtlicher,
und eben dieser Umstand, welcher allerdings bei der Beurteilung
der finnländischen Rechtsfrage nicht zutrifft, liegt vielleicht der
oben berührten irrtümlichen Auffassung DESPAGNETs zugrunde.
Jedenfalls dürfte es ausser Zweifel stehen, dass von keinerlei
rechtsverändernden Wirkungen offenbarer Rechtsverletzungen die
Rede sein kann, solange der Kampf um das verletzte Recht noch
ununterbrochen fortdauert, und dies war ja in Finnland die Un-
glücksjahre hindurch der Fall. Esist auch ausdrücklich hervor-
zuheben, dass jene unrichtige Auffassung von den meisten Au-
toren nicht geteilt wird?. Nach wie vor haben urteilsfähige und
hervorragende Staatsrechtslehrer die finnische Verfassung im
ganzen genommen als bestehendes Recht behandelt, als ein
Recht, als eine Rechtsordnung, wie sie noch immer ist, nicht
wie sie war oder rechtlich sein sollte. — Heutzutage hat diese
Frage eine sehr erhebliche praktische Bedeutung; das Februar-
manifest ist zwar formell nicht aufgehoben, aber jedenfalls ausser
2 U. a. JELLINEK: Allgemeine Staatslehre, II. Aufl.; Seiner: Das ju-
ristische Kriterium des Staates.