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schen Wesens darin nachweisen können. Deutsche Bedächtig-
keit und deutsche Methode mussten die Entwicklung mit einer
gewissen Folgerichtigkeit in den Bereich geschriebenen Rechtes
drängen. Und geschriebenes Recht war eben nur in den bürger-
lichen Gesetzbüchern zu finden. Aber auch jenseits des Rheines
ergab sich eine gegensätzliche Entwicklung aus einer gegebenen
Veranlagung französischen Geistes und französischer Tra-
dition. Starke, auf unmittelbar praktische Ergebnisse abzielende
Impulse fanden in dem Apparat der französischen Verwaltungs-
gerichtsbarkeit, insbesondere im Staatsrate, ein Werkzeug vor,
dessen Wirksamkeit auf seinem durch Tradition gefestigten An-
sehen ruht. Die Judikatur des Staatsrates hat spontan das her-
vorgebracht, was anderwärts von der Gesetzgebung erwartet wird:
ein juristisch-technisch durchgebildetes Entschädigungsrecht. Al-
lein — und dies ist der Gegensatz zu der deutschen Entwick-
lung — dieses Entschädigungsrecht wendet sich bewusst vom
Privatrechte ab und ruht auf ausschliesslich öffentlich-rechtlichen
Grundsätzen.
In Oesterreich ist die Haftung des Staates für die Hand-
habung der öffentlichen Gewalt nahezu jungfräulicher Boden.
Den vereinzelten Aeusserungen der Rechtsliteratur ist die Ab-
hängigkeit von der deutschen, dem geschriebenen Rechte zu-
strebenden Geistesrichtung leicht anzumerken. Aber die inner-
liche Notwendigkeit, die unwiderstehliche Macht welche GIERKE
in der deutschen Entwicklung zu erkennen glaubt, ist nicht vor-
handen. Der Oesterreicher kann mit kühler Ueberlegung die
Modelle seiner Rechtsfortbildung da oder dort entlehnen. Ein
autochthones Rechtsprinzip ist bis heute nicht nachgewiesen. Und
keinesfalls hätte es irgendwelche Zusammenhänge mit der leben-
digen Gegenwart. Muss nicht rationelle Erwägung den fortge-
schrittensten und vollkommensten Vorbildern nachstreben ?