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kommen. Für Bezirke und Gemeinden müsste man sich aller-
dings nach wie vor mit der Justizzuständigkeit behelfen, was im
französischen Rechte eine merkwürdige Parallele hat.
Heute lastet der grosse Bann aller Katheder auf allem, was
irgendwie nach Freirecht auszieht. Die Rechtgläubigkeit der Lehre
soll gar nicht in Zweifel gezogen werden. Vielmehr soll nur das
nachdrücklich festgestellt werden, dass es sich bei dieser Form
der Rechtsbildung gar nicht um Freirecht handelt. Sie bringt die
gesetzliche Norm zur Geltung. Das konstitutive Beiwerk muss
nicht notwendig von der Gesetzgebung, es kann auch von der
Rechtsprechung beigestellt werden; es ist sekundäres Recht. Die
primären Elemente der Rechtsordnung, die Normen, können
allerdings nur aus dem positiven Gesetze gewonnen werden. Das
Weitere kann der Rechtsprechung überlassen bleiben. Es ist
wünschenswert, dass die Gesetzgebung auch diese Partie nicht
vernachlässige. Ist dies aber dennoch der Fall, so müssen Er-
satzkräfte eingeschaltet werden. Das geschieht längst als etwas
Selbstverständliches in allen Fragen freien richterlichen Ermessens.
Auf dem Gebiete des Zivilrechtes mag sich der Richter auf eine
ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung berufen. Der Verwaltungs-
gerichtshof jedoch, der so bedeutsam in den Rechtsbildungspro-
zess eingreift, hat vielfach nicht einmal solch eine Blankettvoll-
macht für sich. Uebrigens handelt es sich längst nicht mehr um
akademische Diskussionen. Die Rechtsprechung des fran-
zösischen Staatsrates hat Tatsachen gesetzt. Mag die Doktrin zu-
sehen, wie sie damit fertig wird. Keinesfalls dürfen sie ignoriert
werden.
Von den Einwänden gegen die Freirechtströmung ist der eine
besonders schwerwiegend, dass die Vielheit der richterlichen In-
stanzen zur vollständigen Anarchie führen müsste. Die Einheit
die in dieser Frage um die Geltungen ringen, unmerklich an einander
vorüberstreifen: die freie Anschauung des weltgewandten, juristisch hoch-
gebildeten Ministers und die scholastische Schulweisheit der Zunftjuristen.