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Die Studie von BORCHARDT, deren Lektüre bisweilen durch eine eigen-
artige Terminologie und Begriffsformulierung erschwert ist, enthält eine
solche Fülle von völkerrechtlich interessantem Material, interessant unter
dem Gesichtspunkt der Rechtswissenschaft und der weltwirtschaftlichen
Entwicklung, dass man erstaunen muss, von alledem in den meisten Lehr-
büchern des Völkerrechts auch kaum eine Spur zu finden. Max Huber.
Cybichowski, Sigmund, Das antike Völkerrecht. 1038. Bıres-
lau 1907.
In dieser geschichtlichen Studie, die „zugleich ein Beitrag zur Kon-
struktion des modernen Völkerrechts® sein will, behandelt der Verfasser
die internationalen Rechtsaltertümer der Aegypter. Israeliten, Babylonier,
Assyrer, Griechen und Römer; die beiden letztgenannten Völkerrechte er-
fahren natürlich infolge der reichlicher fliessenden Quellen eine besonders
eingehende Darstellung. Wir finden hier z. T. bekanntes, z. T. aber auch
in der völkerrechtlichen Literatur noch nicht verwertetes Material sorgfäl-
tig gesichtet und literarisch dokumentiert zusammengetragen, unter zu-
treffender Hervorhebung des rechtlich Erheblichen. Was die griechischen
und römischen Quellen betrifft, will der Verfasser offenbar keine erschöpfende
Darstellung bieten, sondern die wichtigsten Vertragstypen beschreiben und
durch charakteristische Beispiele belegen. CyBICHOWSKI tritt in verschie-
denen Punkten herrschenden Auffassungen entgegen, insbesondere versucht
er — wie uns scheint, mit Erfolg — nachzuweisen, dass von einer allge-
meinen Geltung der Gesandtenimmunität bei den antiken Völkern nicht die
Rede sein kann. Auch hat der Autor gewiss nicht unrecht, wenn er den
dermaligen Zustand der geschichtlichen Völkerrechtswissenschaft als unzu-
länglich bezeichnet. In den historischen Partien des internationalen Rechts
fehlt es noch vor allem an einer genügenden Zahl eindringender Spezial-
forschungen und es ist nicht verwunderlich, dass Gemeinplätze und Irr-
tümer in der Literatur noch einen grossen Raum einnehmen. Insbesondere
betont ÜYBICHOwSKkı mit Recht, dass ein sehr grosser Teil dessen, was als
antikes Völkerrecht bezeichnet wurde, lediglich äusseres Staatsrecht war,
so das Institut der Fetialen etc.
Wie schon der Titel erkennen lässt, ist es dem Verfasser aber nicht
nur um eine antiquarische Forschung zu tun, sondern darum, zu zeigen, wie
historisch betrachtet, Völkerrecht entstanden ist. Schon in den ältesten
Zeiten findet man neben den religiösen Zeremonien, welche den einzelnen
Kontrahenten seinen Göttern gegenüber banden, weitere Förmlichkeiten.
welche die Vorstellung der gegenseitigen Bindung der Vertragsparteien
symbolisierten. Diese letzteren Rechtsformen treten mit der Zeit mehr ın
den Vordergrund und insbesondere auf griechischem Boden löst sich die
Vertragspflicht nach und nach auch von diesen Formen, d. h. der im be-
xchworenen Vertrage konkretisierte Parteiwille tritt zurück gegenüber dem