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schwerden über die Unvollständigkeit der Gesetze nur wenige sein
werden.
Das Recht sei kein Machwerk der Menschen, und die Macht-
haber seien keine Rechtsschöpfer, keine Rechtsgeber. Alle Rechte
gebe ursprünglich die Vernunft. Der Gesetzgeber sei das Organ,
der anwendende Erklärer der rechtlichen Vernunft. Die Ver-
nunft aber lasse keine in ihrem Sehkreise gelegene Frage unbe-
antwortet, ihre Aussprüche seien unveränderlich und allgemein.
Alle Fälle also bis dahin zurückbezogen, unterliegen einer recht-
lichen Entscheidung. Wie jedoch die Willkür der Richter bei
dem Rückgange zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen be-
schränkt, wie der eigenmächtigen Auslegung vorgebeugt werden
könne und solle, dies werde bei der Beurteilung des Entwurfes
da, wo von der Auslegung der Gesetze gehandelt wird, einen
(Gegenstand der Beratschlagung ausmachen“ *.,
Mit dieser Feststellung, daß die Priorität für den entschei-
denden Satz nicht BENTHAM, sondern ZEILLER zukommt, könnten
wir uns eigentlich begnügen. Um aber allen möglichen und
unmöglichen Einwänden von vornherein zu begegnen, wollen wir
auf die eben zitierten Ausführungen ZEILLERs etwas näher ein-
gehen.
Man könnte mir nämlich vielleicht entgegenhalten: Die
zitierten Ausführungen ZEILLERs enthalten nichts anderes als
eine Bestätigung der HATSCHERschen Ansicht von dem Einfluß
BENTHAMs; denn daß ZEILLER damals (1801) den Begriff der
„Vollständigkeit“ nicht im Sinne der Geschlossenheit, Lücken-
losigkeit verstand, ergebe sich aus dem 2. und 3. Absatz seiner
Rede, im a.u. Vortrag (1808) hingegen fehlen jene Sätze, die
vom Standpunkte der Lückenhaftigkeit des Gesetzbuches
aus gesprochen worden sind, und damit sei erwiesen, daß ZEIL-
LER nunmehr den Begriff der „Vollständigkeit“ im Sinne der
Geschlossenheit, Lückenlosigkeit auffasse — dieser Wandel lasse
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