— 1695 —
zur Wahrung individueller Rechte berufen seien, im Gegensatz
zum zentralisierten Frankreich, das als Forderung der Re-
volution den extravaganten Satz angenommen habe „que les
juges ne pouvent troubler®! de quelque maniere que ce soit
les operations des corps administratifs“. — Dank jenem deutschen
Sinne und dank der Abneigung gegen die in Frankreich immer
erobernder in die Rechtspflege eindringende sogenannte Ad-
ministrativ- Justiz werde es bei uns zu einer Eindämmung und
Trockenlegung der Justiz nicht kommen — (R. Koch in
Gruchot Beiträge. V. Jahrg. 8. 249).
Dieses Wort, wie gründlich zu nichte ist esgeworden!
Wie ist die Geschichte zu ihrer Tagesordnung der wogenden
Neubildung des Rechts übergegangen! Der Gegensatz zum
zentralisierten Frankreich besteht in jener Richtung nicht mehr
und es muß eine Frage ernstester nationaler Selbstprüfung sein,
ob wir nicht in der Kritik vieler gerichtlicher Entscheidungen
der letzten Jahrzehnte vor einem ähnlichen Tadel stehen, den
(nach einem Zitat von Savigny in „Vom Berufe unserer Zeit“
S. 80) ein französischer Tribunal über den Gerichtsgebrauch ge-
fällt hatte:
quelle jurisprudence! ouvrage de tant de juges et de tant de
tribunaux, dont l’opinion ebranl&ee par les secousses? revolu-
tionaires, serait encore si diversement modifiee'!
Nachdem nun R. KocH in den oben wiedergegebenen Bemer-
kungen sich als getreuen Bekenner des Rechtsstaats gezeigt hatte,
verfällt die Treue, indem er, wie fortfahrend folgt, einem Oppor-
tunismus verfällt:
Darum — sagt er — dürfen wir uns aber umso weniger der
s3ı Das „troubler“ deckt sich genau mit den „vexatorischen“ Klagen,
derer die Motive zum Gesetz vom 13. Februar 1854 gedenken. Die Organe
der Verwaltung sollen nicht durch vexatorische Klagen vor Gericht oder
durch die Furcht vor solchen gelähmt werden.
32 Zustände, die diesen secousses nicht unähnlich, haben wir in den
Utopien, wie in den Gefahren der sog. Sozialdemokratie.
11*