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Frage in jedem einzelnen Falle nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu
beurteilen und zu entscheiden sei.
Auch nur nach allgemeinen Grundsätzen läßt sich die Frage lösen, ob
die Entscheidung des Heroldsamts, daß dem Angeklagten das von ihm an-
genommene Adelsprädikat nicht zustehe, für das Strafgericht bindend ist.
Der Grundsatz, daß der Strafrichter selbständig über alle Vorfragen
entscheidet, findet seine Grenze in der materiellrechtlichen, nicht nur aus
Reichsgesetzen, sondern auch aus geltendem Landesrecht folgenden Wirkung
der Entscheidung von nichtrichterlichen Behörden. Ist die Tatsache einer
solchen Entscheidung auf Grund freier Beweiswürdigung für erwiesen er-
achtet, so ist die Rechtsfrage nach den Folgen der Entscheidung auf Grund
des maßgebenden Reichs- und Landesrechts zu beurteilen.
Die deklaratorische Feststellung des Königs oder der zuständigen Adels-
behörde, daß ein beanspruchter Adel bestehe oder nicht bestehe, ist nach
dem preußischen Recht die Ausübung eines nur dem König zustehenden
Hoheitsrechts. Sie bindet als staatliche Willenserklärung alle staatlichen
Behörden. Sie hat die materiellrechtliche Wirkung, daß die Staatsbehörden
nicht der Betätigung des Hoheitsrechts zuwiderhandeln, sich nicht über die
Anerkennung oder Aberkennung des Adels hinwegsetzen, den anerkannten
Adel nicht bestreiten, den aberkannten nicht als bestehend ansehen dürfen,
weil sie keine Befugnis zu der Prüfung naben, ob das Majestätsrecht aus
tatsächlichen oder rechtlichen (Gründen zutreffend ausgeübt ist. Es wäre
ein Eingriff in das Majestätsrecht, wollte der im Namen des Königs ur-
teilende Richter zur Grundlage seines Urteils das Gegenteil dessen machen,
was der König oder die von ihm beauftragte Behörde über die seiner allei-
nigen Entschließung vorbehaltene Frage entschieden hat. Dazu ist er nicht
befugt.
Die in den Gründen eines Strafurteils enthaltene Entscheidung über
den Adel hat zwar keine rechtliche Wirkung über den einzelnen zur An-
klage gestellten Fall hinaus. Allein der Schutz des Majestätsrechts, den
der & 360 Nr. 8 des Strafgesetzbuchs bezweckt, würde tatsächlich vereitelt
oder stark beeinträchtigt werden, wenn die Möglichkeit bestände, in zahl-
reichen aufeinanderfolgenden Strafverfahren stets dieselbe von der allein
zuständigen Stelle bereits entschiedene Frage wieder zur richterlichen Ent-
scheidung zu bringen und widersprechende Urteile herbeizuführen. Schon
ein die Adelszugehörigkeit bejahendes Urteil würde häufig für die Zukunft
Straffreiheit und demgemäß den fortgesetzten Gebrauch des von dem Lan-
desherrn aberkannten Adels zur Folge haben, weil der dadurch gestützte
Glaube an die Befugnis zur Annahnıe des Adelsprädikats nicht zu wider-
legen wäre.
III. Nach vorstehenden Darlegungen, mit denen der kurze, den $ 360
Nr. 8 des Strafgesetzbuchs betreffende Satz in dem Erkenntnis des Gerichts-
hofes zur Entscheidung der Kompetenzkonflikte vom 16. Februar 1895, Ju-