Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 26 (26)

— 345 — 
AusdenSsStaatsrechtlichen Abhandlungen, Festgabe für 
PaulLabandzum 50. Jahre der Doktorpromotion. 
Verlag von J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen 1908. 
Abhandlungen völkerrechtlichen Inhalts. 
I. Völkerrecht und Völkercourtoisie von Felix Stoerk, 
weil. Professor der Rechte an der Universität Greifswald (Bd. II, 
Seite 129—170). 
Daß comitas gentium und Völkercourtoisie !im Verkehrsleben der Staaten 
eine große Rolle spielen, ist eine längst anerkannte Tatsache. Dagegen 
sind die Ansichten über ihr Wesen noch wenig geklärt. Während man 
zu Anfang viel mit dem unklaren — weil rein subjektiven — Begriff der 
Staatengunst arbeitete, erkannte man später, besonders seit der Zeit der 
historischen Schule, daß dieser Gedanke bei Behandlung der Frage der 
Völkercourtoisie auszuschalten ist. Man gelangte zu folgenden Sätzen: 
Völkercourtoisie ist kein Völkerrecht; dennoch werden ihre Regeln nicht 
weniger genau seitens der Kulturstaaten beobachtet als die Vorschriften 
des Völkerrechts. „Die impulsiv wirkende Kraft der courtoisie wird von 
allen Seiten zugegeben, — ihr positiv-rechtlicher Charakter ebenso allseitig 
mit voller Bestimmtheit verneint“ (S. 154). 
Wo liegt nun das Problem der Behandlung des Themas „Völkerrecht 
und Völkercourtoisie*? Nicht — wie man vielfach angenommen hat — 
in der Lösung der Frage: Wie hoch ist der Wert der Courtoisie einzu- 
schätzen, wie groß ist ihr Einfluß zu veranschlagen, und welches sind die 
Folgen der Nichtbeachtung ihrer Regeln? „Da liegt nicht die Schwierig- 
keit des Problems, das war nicht erst zu beweisen; das thema probandi 
ist eben in der Frage eingeschlossen, wie es nach Ausweis der Tatsachen 
des wirklichen Staatenlebens komme, daß sich die Glieder der großen Völ- 
kerfamilie in ihrem wechselseitigen Verhalten außerhalb des bindenden 
Vertrags- und Gewohnheitsrechts zu Einräumungen und freiwilligen Lei- 
stungen, zu pflichtmäßigem Verhalten gebunden fühlen ohne scharfe Um- 
grenzung des Pflichtenmaßes, ohne Erwartung des sicheren Ertrages Zug 
um Zug?“ (S. 154). So stellt sich STOERK die Aufgabe. 
  
! Ueber das Verhältnis der beiden termini technici zu einander sagt 
STOERK (S. 149): „Bei näherer Prüfung des in Betracht kommenden diplo- 
matischen Aktenstoffs zeigt sich zumeist, daß unter comitas die ursäch- 
liche Disposition des zu freiwilliger Selbstbeschränkung der eigenen Macht- 
sphäre bereiten Staates gemeint ist, während unter courtoisie nach ziem- 
lich übereinstimmendem Sprachgebrauch der diplomatischen Korrespondenz 
die dem anderen Staate außerhalb eines formellen Verpflichtungsverhält- 
nisses, also freiwillig gewährte Einräumung verstanden wird“.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.