Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 26 (26)

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wohnheitsrecht und Rechtswissenschaft umgestaltet wurde. Da- 
rin liegen grundsätzliche Aenderungen scheinbar fest abgeschlos- 
sener Zustände, die auch schon anderweit die Aufmerksamkeit 
auf sich gezogen haben?. 
In entgegengesetzten Pendelschwingungen bewegen sich seit 
zwei Jahrhunderten die Auffassungen vom Gewohnheitsrechte. 
Der naturrechtlichen Auffassung des Polizeistaates und der fran- 
zösischen Revolution war allein das Gesetz der Ausdruck des 
allgemeinen Willens. Das Gewohnheitsrecht kam nur als still- 
schweigender Staatswille in Betracht, allenfalls neben dem Ge- 
setze, nie gegen das Gesetz. (#egenüber dieser mechanischen 
Staats- und Rechtsauffassung hat die historische Schule die Be- 
deutung des Gewohnheitsrechtes als des unabhängig vom Staate 
aus der Volksüberzeugung erwachsenden Rechtes reiner und 
klarer erfaßt als jedes frühere Zeitalter. Und doch war ihre 
Vorliebe für das Gewohnheitsrecht und ihre Abneigung gegen 
die Gesetzgebung wiederum eine Einseitigkeit. Schon das fol- 
gende Geschlecht erkannte, daß das Rechtsbewußtsein der mo- 
dernen Völker mit ihrer machtvollen Staatsgewalt sich vorwie- 
gend in der Form des Gesetzes verkörpert. Angesichts der ge- 
waltigen Kodifikationen der letzten Jahrzehnte scheint uns we- 
nigstens in Deutschland die ganze Rechtsordnung auf Paragra- 
phen gefüllt, und unwillkürlich fragt der Mann aus dem Volke, 
der sich über eine Rechtsfrage belernen will: Wie lautet der 
Paragraph ? Und doch ist trotz dieser gewaltig arbeitenden Ge- 
setzgebung dem Grewohnheitsrechte seine Bedeutung geblieben. 
Wie das Epheu um die Mauer schlingt es sich um das Gesetzes- 
recht, gibt ihm teilweise ein anderes Aussehen, ja zersetzt es 
schließlich, so daß das lebendige geltende Recht aus dem toten 
Buchstaben der Paragraphen nicht wieder zu erkennen ist. 
8 REHM, Unitarismus und Förderalismus in der Reichsverfassung, 
Dresden 1898; TeıereL, Unitarismus und Förderalismus im Deutschen 
Reiche, Tübingen 1907.
	        
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