— 392 —
gedeckt werden, gewinnt mit der Erweiterung der kaiserlichen
Rechte auch der Reichstag einen immer weiter gehenden Einfluß.
Als Organe der kaiserlichen Regierung mit verfassungsmäßiger
Verantwortlichkeit, nicht als unverantwortliche preußische Bevoll-
mächtigte zum Bundesrate treten Reichskanzler und Staatssekre-
täre dem Reichstage gegenüber. Mit der allgemeinen Anerken-
nung dieses zunächst nur tatsächlichen Zustandes wird er zum
festen Gewohnheitsrechte. Kaisertum und Reichstag als die uni-
tarischen Organe wirken zusammen, um das förderative, den
Bundesrat, in den Hintergrund zu drängen.
Daneben vollzieht sich ebenso unscheinbar wie sicher eine
allmähliche Verschiebung der Zuständigkeit von Reich und Ein-
zelstaat.
Freilich die verfassungsmäßig, namentlich in Art. 4 RV.
festgesetzte Grenze von Reichs- und Landeskompetenz ist nur
in vereinzelten Fällen — der wichtigste die Ausdehnung der Zu-
ständigkeit des Reiches auf das gesamte bürgerliche Recht —
erweitert worden. Aber jene Festlegung bildete doch von Hause
aus meist nur eine Summe von Verheißungen für die Zukunft
und ließ vorläufig die Bewegungsfreiheit der Einzelstaaten in
Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung unberührt. In-
zwischen sind die Verheißungen eingelöst, indem das Reich von
seiner Befugnis Gebrauch machte, noch neuerdings im Reichs-
vereinsgesetze.
Damit ist nicht nur die Gesetzgebungsfreiheit der Einzel-
staaten auf ein immer engeres Gebiet beschränkt. Denn mit der
Gesetzgebung des Reiches geht eine Beaufsichtigung, wie die
(desetze von dem Einzelstaate durchgeführt werden, Hand in
Hand.
Diese Beaufsichtigung ist einmal, soweit die Rechtsanwen-
dung Sache der Verwaltung ist, eine verwaltungsrechtliche. Der
Kaiser überwacht durch seine kaiserlichen Verwaltungsorgane
die Ausführung der Reichsgesetze, und der Bundesrat hat über