Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 26 (26)

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und alles liefe so nur auf einen Wortstreit hinaus, wenn wir uns nicht über 
das verständigen, was jeder von uns als Geschlossenheit der Kodifikation 
ansieht. LUKAS scheint von einem mehr realistischen Begriffe auszugehen, 
er scheint sich die Sache so vorzustellen, als ob Geschlossenheit der Kodi- 
fikation erst dann vorliege, wenn der Gesetzgeber in selbstgenügsamer Er- 
kenntnis wirklich der Fiktion anhängt, alles und jedes durch das Gesetz 
regeln zu können und jede andere Rechtsquelle außer dem Gesetz auszu- 
schließen. Auf dem Standpunkt solcher Realistik stand nicht einmal 
Bentham, geschweige denn, daß man es von den Redaktoren der in 
Frage kommenden Gesetzbücher erwarten darf. Es ist dies auch ein- 
fach unmöglich, immer wird eine umfassende Kodifikation auf andere 
Rechtsquellen verweisen müssen. Ich möchte das bürgerliche Gesetz- 
buch sehen, das z. B. die Ortsgebräuche ausscheiden wollte! Ich 
möchte das bürgerliche Gesetzbuch sehen, welches die Billigkeit oder das 
freie richterliche Ermessen ausschalten könnte! Eine solche Realistik als 
Postulat für die Geschlossenheit der Kodifikation vorauszusetzen geht m. E. 
zu weit. Immer wird der Schöpfer einer umfassenden Kodifikation auf 
andere Rechtsquellen in subsidio verweisen müssen. Dadurch verliert die 
Geschlossenheit der Kodifikation keineswegs ihr wesentliches Merkmal, da 
der Gesetzgeber es immer ist, welcher die andere Quelle außer dem Gesetz 
duldet, ihr den Umfang ihrer Geltung und ihr Schwergewicht zuweist. 
Dadurch aber unterscheidet sich eine geschlossene Kodifikation von jeder 
nicht geschlossenen, daß die erstere mit allen subsidiären Rechtsquellen 
eine in sich geschlossene Einheit bildet, während die lückenhafte Kodifi- 
kätion immer auf alte oder neue Willensäußerungen des Gesetzgebers zu 
ihrer Ergänzung verweist bezw. wartet; wenn wir diesen Maßstab 
verwenden zur Beurteilung der Frage, ob eine geschlossene Kodifikation 
vorliegt oder nicht, so werden alle Bedenken, die LUKAS gegen meine 
früheren Ausführungen hatte, wohl schwinden. Der Code Napoleon ist 
danach deshalb eine geschlossene Kodifikation, weil er den Richter anweist, 
aus dem Gesetz zu entscheiden und ihm als Ergänzung nur die Billigkeit, 
das freie richterliche Ermessen, zuweist. Das westgalizische Gesetzbuch von 
1797 und sein $ 19 hingegen stehen nicht auf dem Standpunkt der Ge- 
schlossenheit der Kodifikation, denn dieser 8 19 sagt: „Findet aber der 
Richter einen Rechtsfall durch die Worte des Gesetzes nicht geradezu ent- 
schieden, so muß er in seinem Urteile auf den natürlichen Sinn des Ge- 
setzes, er muß ferner auf die Gründe anderer damitverwandten 
Gesetze, und aufähnliche im Gesetze bestimmt entschiedene Fälle Rück- 
sicht nehmen; bleibt ihm der Rechtsfall nach allem diesem noch zweifel- 
haft, so muß er ihn mit Hinsicht auf die sorgfältig gesammelten, und reif- 
lich erwogenen Sachumstände nach den allgemeinen und natürlichen Rechts- 
grundsätzen entscheiden.* Der Verweis auf die Gründe anderer verwandter 
Gesetze ergibt, daß das westgalizische Gesetzbuch nicht von der Geschlossen-
	        
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