Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 26 (26)

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theilung und Entscheidung der Rechte und der darüber entstehenden Streitig- 
keiten vorgeschrieben werden könne. 
Zuforderst setzt das Natur-Recht in dem Sinne wie 
Ew. Excellenz davon reden, allemal etwas Gegebenes, 
etwas Positives voraus. Denn wenn aus Begriffen richtige 
Folgerungen hergeleitet werden sollen, so müssen die Begriffe selbst erst 
festgesetzt seyn; und diess kan, bey Rechtsmaterien in der bürger- 
lichen Gesellschaft, nicht füglich anders, als durch den erklärten Willen 
des Gesetzgebers geschehen. Ehe über Rechte eines Feudum geurtheilt 
werden kan, so muß doch feststehn, was ein Lehn sey. Ehe die 
Rechte eines Testaments Erben aus dem Begriffe des Testaments her- 
geleitet werden können, so muß doch erst bestimmt seyn, was zum 
Wesen eines Testaments gehöre. Diese Festsetzung der Begriffe muß 
also durch Gesetze geschehen, und kan der Philosophie des Rechts umso- 
weniger überlassen werden, je bekannter es leider ist, daß nicht nur der 
Grund des Sittengesetzes selbst, sondern auch über die wichtigsten Ent- 
wickelungen desselben, unter den Philosophen noch die größte Uneinigkeit 
herrsche. 
Hiernächst ist es für die Sicherheit des Eigenthums und der Bürger- 
lichen Freyheit allzu gefährlich, bey der Herleitung aus den Begriffen auf 
die individuellen Fähigkeiten, Einsichten und Vorstellungsarten der richter- 
lichen Personen allzuviel ankommen zu lassen. Diese sind bekanntermaßen 
unendlich verschieden, und man sagt mit Recht, daß jeder Mensch folglich 
auch jeder Richter seine eigene Logik habe. Eine uneingeschränkte Ver- 
weisung auf das Jus naturale würde folglich auf die größte Ungewißheit 
der Rechte, und auf schwankende Willkür der Entscheidungen führen.‘ Das 
Mein und Dein, das Wohl und Weh der Partheyen würde blos davon, ob 
der Richter falsch oder richtig hergeleitet habe, abhängen und niemand 
würde im voraus seine Handlungen und Geschäfte so einrichten können, 
daß er dadurch bey der Erwerbung und dem Besitze der Rechte, die er 
sich hat erschaffen, oder bey dem Umfange und den Grentzen der Ver- 
bindlichkeit, die er hat übernehmen wollen, nur einigermaßen gesichert wäre. 
Die Anordnung mehrerer Instanzen für die entstehende Streitigkeit hilft 
dieser Besorgnis keineswegs ab. Der großen und bekannten Uebel nicht 
zu gedenken, die aus der Vermehrung und Verlängerung der Prozesse für 
die Vermögensunstände, für die Ruhe und selbst für die Moralität der 
Bürger im Staat entstehen, so muß doch irgend einmal eine letzte Instanz 
eintreten, von deren Entscheidungen keine weitere Berufung stattfindet. 
Sind nun auch die Gerichte der letzten Instanz an keine positiven Gesetze 
gebunden, sondern nur im Allgemeinen zu richtigen Herleitungen aus den 
Begriffen verpflichtet, so fällt in die Augen, daß diese Gerichte oder wohl 
gar nur einige praeponderierende Mitglieder derselben, in jedem streitigen
	        
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