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des ALR. Naturrecht und Natur der Sache von einander geschieden haben ?.
HATSCHEK ist gegenteiliger Meinung. Allem Anschein nach sticht ihm
dabei DANCKELMANNSs Unterscheidung zwischen ius naturae und ius naturale
in die Augen. Ich gebe zu, daß, wenn man diese Stelle flüchtig und ohne
genauere Kenntnis der zeitgenössischen Naturrechtsliteratur liest, man tat-
sächlich zu dem Ergebnis kommen kann, daß unter ius naturale eine
außerhalb des überpositiven Naturrechts gelegene Natur der Sache zu ver-
stehen sei. In Wirklichkeit jedoch verhält es sich ganz anders: Schon
die Tatsache muß uns stutzig machen, daß die Naturrechtsliteratur jener Zeit
eine derartige Unterscheidung zwischen ius naturae und ius naturale
nichtkennt. Das entscheidende Moment aber besteht darin, daß DANCKEL-
MANN Sein ius naturae definiert als dasjenige, „welches bloß die Rechte
und Verbindlichkeiten der Menschen, so wie sie (nämlich dieMenschen
und nichtetwadieRechteund Verbindlichkeiten der
Menschen!) aus der Hand der Natur kommen, darstellt“. Dieses ius naturae
ist also das Recht des „Naturstandes“, umfaßt somit nicht das ge-
samte überpositive Naturrecht, sondern bildet nur einen Teil desselben.
Damals wurde nämlich das Naturrecht sehr häufig in zwei große Gruppen
geteilt®. Daß auch D, nichts anderes als eine solche Zweiteilung des über-
positiven Naturrechts im Auge hat, geht übrigens auch daraus hervor,
daß ein so gewiegter Naturrechtskenner wie SUAREZ meint, der von
D. gemachte Unterschied „treffe mit demjenigen, welchen man sonst
2 Vgl. auch oben 8. 84f.
3 7. B. NETTELBLADT, Systema elementare universae iurisprudentiae
naturalis, 5. Aufl. 1785, S. 5; HUFELAND, Lehrsätze des Naturrechts, 2. Aufl.
1795, S. 15 ff, der das Recht des „Naturstandes“ als das „Naturrecht (ius
naturae) im engern Sinne“, das „eigentliche Naturrecht“ bezeichnet und
ihm das „Naturrecht im weitern Verstande“ gegenüberstellt. Aehnlich auch
JAKOB, Philosoph. Rechtslehre oder Naturrecht 1795, S. 106 ff, wonach
der eine Teil des Naturrechts „von den Rechten im Naturstande, der an-
dere von den Rechten in willkürlichen Ständen handelt“; S. 108 Anm. wird
sodann ausdrücklich betont, daß die durch den „Begriff“ des betrefien-
den „willkürlichen Standes“ „bestimmten Rechte“ nicht dem positiven,
sondern dem Naturrecht angehören, und $. 113 obendrein noch gesagt,
man möge sich inacht nehmen, „daß man im Naturrechte nichts an-
ders als Recht bestimmt, als was aus den Begriffen folgt,
welche durch die Natur der Sache selbst bestimmt
sind“.
Eine andere Einteilung war die in das absolute und das hypothetische
Naturrecht, ius connatum und ius acquisitum, je nachdem der Mensch ein
Recht „ursprünglich, ohne alle Voraussetzung einer Handlung“, hat oder
erst „erwerben muß (HUFELAND 18).