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noch zwischen absolutem und hypothetischem Naturrecht zu machen pflegt,
ziemlich überein‘.
Aber selbst angenommen, D. habe — entgegen der herrschenden Auf-
fassung jener Zeit — unter ius naturale wirklich eine außerhalb des
Naturrechts liegende Natur der Sache verstanden, wie könnte eine solche
vereinzelte Auffassung einen Beweis dafür abgeben, daß die Redaktoren
des Code Napoleon in der Frage nach der subsidiären Erkenntnis-
quelle des Richters einen gleichartigen Standpunkt eingenommen haben!
Gar nicht zu reden von den Tatsachen, die ich in meiner Schrift „Zur
Lehre vom Willen des Gesetzgebers S. 421! und oben S. 87 ff. zum Be-
weise des Gegenteils angeführt habe.
ad 4) Dieser Punkt der HATscHerschen Entgegnung dürfte kaum ge-
eignet sein, der HATScHERschen BENTHAM-Theorie neue Anhänger zu werben.
a) Ich hatte seinerzeit die HATSCHERsche Behauptung, daß der Code
Napoleon und das österreichische ABGB. von der BENTHAMschen Theorie
der Geschlossenheit, Lückenlosigkeit wesentlich beeinflußt sei, mit dem
Hinweis darauf zu widerlegen gesucht, daß beide Gesetzbücher auf dem
Standpunkt stehen, der Richter habe Lücken des Gesetzbuches aus dem
Naturrecht zu ergänzen. In seiner Replik, Arch. f. öff. R. XXIV 442 ff,
fiel es nun HATSCHEK nicht im entferntesten ein, mir zu erwidern, daß die
subsidiäre Funktion des Naturrechts mit dem Prinzip der Geschlossenheit
nicht in Widerspruch stehe. Im Gegenteil! Damals sträubte sich
HATSCHEK noch mit aller Macht gegen die Idee, daß die beiden Gesetz-
bücher das Naturrecht als subsidiäre Rechtsquelle im Auge haben, und
stellte den sonderbaren Satz auf, daß die Redaktoren nicht das Naturrecht,
sondern „bloß das freie richterliche Ermessen, die Natur der Sache“ (a. a.
O. 452) im Auge gehabt hätten; nur auf diese Weise glaubte er die ver-
meintliche Tatsache der Geschlossenheit beider Kodifikationen er-
weisen zu können, sagt er doch S. 456 ausdrücklich: „Wenn man mir
dieses zugibt, daß das Naturrecht als überpositive Rechtsquelle und die
Natur der Sache als freies richterliches Ermessen wohl zu unterscheiden
seien, dann möchte ich einen Schritt weiter gehen und sagen: Die Aner-
kennung des freien richterlichen Ermessens im Code Napoleon und im
österr. Gesetz ist nichts anderes als eine Umschreibung für die Etablierung
der Geschlossenheit der Kodifikation.“ — Erst jetzt, infolge meiner Gegen-
ausführungen, sieht er sich genötigt, wenigstens für das österr. ABGB. die
Tatsache der subsidiären Funktion des Naturrechts zuzugeben. Um aber
trotzdem recht zu behalten, erklärt er nunmehr, die subsidiäre Funk-
tion des Naturrechts passe ja ganz gut in das Prinzip der Geschlossenheit
der Kodifikation hinein — — — —
b) HarscHeks Begriff der „Geschlossenheit der Kodifikation* hat also
eine kleine Metamorphose durchgemacht. Das würde an sich nichts ver-
schlagen, aber das Fatale ist, daß dieser HATscHeKsche Begriff der „Ge-